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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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rief probeweise etwas zu meinem nächstgelegenen Mitspieler, der in seiner Kugel etwa zwanzig Meter entfernt auf den Wellen tanzte. Er verzog irritiert das Gesicht und schrie etwas zurück. Kein Ton drang an meine Ohren. Meine eigene Stimme hingegen klang dumpf und zu laut. Niemand vermochte also, den anderen zu hören.
    Das Problem war, zur Küste zu gelangen, ohne den Ball verlassen zu können. Ich musterte den Kranz stabiler rechteckiger Platten an der Außenseite. Sie waren so breit wie Schneeschaufeln und standen etwa dreißig Zentimeter von der Hülle ab. Ich legte den Kopf schräg. Ihr jeweiliger Abstand zueinander betrug etwa fünfzig Zentimeter. Die Konstruktion erinnerte mit etwas Phantasie an die Schaufeln eines Raddampfers.
    Ehe ich Eins und Eins zusammengezählt hatte, sah ich plötzlich einen der Wasserbälle Fahrt aufnehmen und der Insel zustreben. Sein Tempo war gemächlich, aber für alle noch regungslosen Teilnehmer rasant. Der Insasse hatte seine Sphäre so auf dem Wasser gedreht, daß der Ring aus Platten vertikal ausgerichtet war und letztere wie Paddel wirkten. Nun trat er in seinem Ball wie ein Hamster im Laufrad und trieb ihn dadurch auf das Eiland zu. Ich stieß einen Fluch aus und bemühte mich, es ihm gleichzutun. Von einem Augenblick zum anderen herrschte helle Aufregung und ein wildes Durcheinander um mich herum. Alle hatten die Technik des Ausreißers begriffen und waren bestrebt, sie schleunigst zu imitieren. Zumindest versuchten sie es. Im Ball aufrecht zu laufen war eine Sache, es auf dem Wasser zu tun eine andere. Dabei auch noch den Winkel und den Kurs beizubehalten, damit die Schaufeln die Sphäre voran und auf die Insel zubewegten, überforderte viele, den Ausreißer mit eingeschlossen. Wir schlingerten und stolperten, drehten Halbkreise auf den Wellen, krabbelten auf allen Vieren, wenn wir das Gleichgewicht verloren. Hin und wieder stießen einige Sphären zusammen oder drängten sich gegenseitig ab. Ihre Insassen fluchten, zeterten, schwangen die Fäuste, und alle Gesichter waren bald krebsrot.
    Nach einiger Zeit hatte nahezu jeder den Dreh heraus. Die Insel kam näher, das Rennen war in vollem Gang. Mangelnde Kondition ließ den einen oder anderen zurückfallen. Nach zwei Dritteln der Strecke lag ich an vierter Stelle. Einer meiner Kontrahenten hatte fast einhundert Meter Vorsprung. Ihn noch einzuholen, war unmöglich. Allerdings kamen noch zwei Faktoren hinzu, die am Strand entscheidend sein würden. Zum einen war da die verschlossene Luke, zum anderen die Klippe. Sie hatte aus der Ferne verhältnismäßig niedrig gewirkt, aber je näher ich der Insel kam, desto deutlicher wurde, daß sie mindestens zehn Meter aufragen mußte. Und es sah nicht so aus, als führten Treppen oder Pfade empor.
    Durch die von den Schaufeln aufgewühlte Gischt waren Formen – vor allem in Fahrtrichtung – nur sehr undeutlich zu erkennen. Der erste Wasserläufer hatte den Strand erreicht, dicht gefolgt von einer jungen Frau, die sich mächtig ins Zeug legte, um Anschluß zu halten. Mir pfiff vor Anstrengung die Lunge. Ich kam aus dem Tritt und rutschte bäuchlings die Innenwand herab, rappelte mich wieder hoch und hetzte weiter. Die Tatsache, daß mir bisher noch nicht die Luft ausgegangen war, bestätigte meine Vermutung, daß Babalon auf einer virtuellen, aber dennoch kräftezehrenden Ebene stattfand – was gleichzeitig bedeutete, daß sich mein wirklicher Körper noch in der Sphäre im Club aufhielt und für mich atmete. Die Vorstellung, ihn schutzlos dort zurückgelassen zu haben, ließ mich meine Anstrengungen, das Ufer zu erreichen, verdoppeln. Während ich hier strampelte, konnte der Lord meinen realen Körper in Gießharz konservieren lassen, ohne daß ich in der Lage war, etwas dagegen zu unternehmen.
    Falls dies jedoch keine reale Welt war, was hatte es dann mit der zweiten Ebene auf sich, in die Babalon führte? Gab es sie in Wirklichkeit gar nicht? Oder waren es dieser See und die Insel? Eine virtuelle Ebene … War das der Grund, weshalb kein Lift hinabführte? Wenn ja, wo befanden sich dann Prill und die über dreihundert anderen Bewohner, die im Bunker fehlten?
    Als ich endlich den Strand erreichte, fiel ich prompt auf die Schnauze. Die Sphäre lief wenige Meter vor dem Festland auf Grund, die Schaufeln blockierten, der Ball hörte sofort auf, sich zu drehen. Ich klatschte mit dem Gesicht gegen die Innenwand und rutschte mit blutender Nase an ihr hinunter. Das Wasser war so seicht,

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