Lord Stonevilles Geheimnis
dem Gedanken an ihre Abreise die Kehle zuschnürte.
Wie in Trance machte er sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer. Er konnte nicht glauben, dass sie gegangen war. Er konnte nicht glauben, dass er sie vertrieben hatte.
Als er sein Arbeitszimmer betrat, ließ ihn der Anblick eines weiteren Buchs von Minerva auf seinem Schreibtisch innehalten. Es beschwor eine Flut von Erinnerungen herauf: Maria, wie sie ihn wegen des neuen Romans seiner Schwester neckte, wie sie mit ihm diskutierte, wie sie ihn mit ihren strahlend blauen Augen ansah und sagte, Hoffnung gebe es immer.
Er verzog das Gesicht. Für andere Männer vielleicht, aber nicht für ihn. Er hatte an dem Tag alle Hoffnung verspielt, als er seine Mutter dazu getrieben hatte, erst seinen Vater und dann sich selbst zu töten. Maria hatte das Schlechte in ihm natürlich erkannt, für das seine Familie blind zu sein schien.
Minerva war ihm gefolgt. »Was wirst du tun, um Maria zurückzugewinnen?«, fragte sie von der Tür aus.
Er lachte höhnisch. »Gar nichts. Sie will ja nicht zu mir zurück. Wenn sie mir nicht einmal eine Nachricht hinterlassen hat und auch nicht warten wollte, bis ich …«
Die Worte blieben ihm im Hals stecken, und er verstummte. Er hatte versucht, sie in die Ehe zu zwingen, und Maria konnte es nicht ertragen, tyrannisiert zu werden. War es da ein Wunder, dass sie die Flucht ergriffen hatte?
»Du kannst nicht einfach tatenlos zusehen!«, ereiferte sich Minerva. »Du musst ihr nachfahren und sie davon überzeugen, dich zu heiraten.«
»Warum?« Oliver sah sie stirnrunzelnd an. »Damit Großmutter euch in Ruhe lässt? Sie hat die Nase gestrichen voll von uns! Und dieser … Wahnsinn mit Maria ist der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ihr könnt euch schon einmal darauf einrichten, bis in alle Ewigkeit hier zu wohnen, denn Großmutter wird nicht aufgeben, bis sie uns alle verheiratet hat – und ich werde nicht heiraten!« Er würde keine andere zur Frau nehmen, wenn er Maria nicht haben konnte.
Er kehrte seiner Schwester den Rücken zu, griff nach dem Glas, das neben der Brandykaraffe auf dem Schreibtisch stand, und füllte es bis zum Rand. Es war verrückt gewesen, zu glauben, sein Leben könnte sich ändern, oder dass Maria ihn irgendwie »retten« könnte.
Ihn konnte niemand retten.
»Großmutter und ihr dummes Ultimatum sind mir völlig egal«, sagte Minerva. »Aber mir liegt etwas an Maria. Und ihr liegt etwas an dir.«
»Dann ist sie eine Närrin«, entgegnete er mit rauer Stimme. »Aber wenn sie sich tatsächlich etwas aus mir machen würde, wäre sie nicht Hals über Kopf Hyatt nachgereist.«
»Trotzdem, ich meine wirklich …«
»Halt dich da raus, Minerva.« Er nahm einen ordentlichen Schluck von seinem Brandy. »Sie hat sich entschieden. Es ist vorbei.«
Minerva schnaubte und marschierte beleidigt davon. Oliver blieb mitten im Raum stehen und trank weiter, um jenen angenehmen Zustand der Benommenheit zu erreichen, in dem alles egal war und in dem er nicht mehr an Maria und die vergangene Nacht denken musste – wie hinreißend sie ausgesehen hatte, als sie ihre Unschuld an ihn verloren hatte und …
Er kippte den Rest seines Brandys hinunter. Sie war weg, verdammt! Er sollte sich freuen, dass er den Fesseln der Ehe entronnen war.
»Soll sie doch hingehen, wo der Pfeffer wächst!« Er knallte das leere Glas auf den Tisch.
»Oh, fluchen ist sicherlich hilfreich«, bemerkte seine Großmutter hinter ihm.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt – eine weitere Frau, die ihm auf die Nerven ging. Ohne sie zu beachten, schenkte er sich noch einen Brandy ein.
»Sie hat gesagt, dass du dich so verhalten wirst«, fuhr seine Großmutter fort. »Dass du dich dazu beglückwünschen wirst, gerade noch einmal davongekommen zu sein. Und dass du ihr keine Träne nachweinst.«
Er nahm schweigend einen Schluck von seinem Brandy.
»Ich habe ihr gesagt, dass du sie nicht so einfach aufgeben wirst. Aber da habe ich mich wohl geirrt.«
Oliver lachte bitter. »Diesmal falle ich nicht darauf herein, Großmutter.«
»Worauf?«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Auf deine Tricks! Du willst mich doch nur dazu bringen, dass ich tue, was du willst. Aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt.« Und nun musste er den Preis für diese Lektion bezahlen. Der Schmerz des Verlusts lastete schwer auf ihm und zerriss ihm das Herz. »Maria offenbar auch. Deshalb hat sie bei
Weitere Kostenlose Bücher