Lord Stonevilles Geheimnis
wusste, wer Oliver unterstellt war und wer zu Mrs Plumtrees Dienerschaft gehörte.
»Ja, ich freue mich sehr darauf«, entgegnete sie unverbindlich.
»Er ist ein gut aussehender Gentleman, unser Herr.«
Maria sah sie scharf an und fragte sich, ob Oliver zu den Männern zählte, die sich ihre Dienstmädchen zu Willen machten. Doch Bettys Gesichtsausdruck deutete lediglich auf höfliches Interesse hin.
»Arbeiten Sie schon lange für Seine Lordschaft?«, fragte Maria.
»Jawohl, Miss, ich war auch schon in dem anderen Haus. Als er es verkauft hat, befürchteten wir, dass wir lange Zeit ohne Arbeit sein würden, aber er hat für jeden von uns eine Anstellung in der Stadt gefunden. Und als er beschloss, das Gut wieder zu bewohnen, und uns wissen ließ, dass wir unsere alten Posten wiederhaben könnten, wenn wir wollten, sind fast alle von uns zu ihm zurückgekommen.«
Wie eigenartig, dass sich ein Mann ohne Moral so rührend um seine Dienstboten kümmerte. »Dann ist er also ein guter Herr.«
Betty nickte. »Ein sehr guter! Er hat uns immer gut behandelt. Hören Sie bloß nicht auf das böse Gerede über die Sharpes. Sie sind sehr nette Leute. Wäre dieser alte Skandal nicht, würde die feine Gesellschaft längst nicht so schlecht über Lord Jarrets Hang zum Glücksspiel und Lady Celias Freude am Schießen sprechen.«
»Dieser alte Skandal?«, hakte Maria neugierig nach.
Bettys Wangen röteten sich. »Ich bitte um Vergebung, Miss, aber ich dachte, Sie wüssten davon. Ich hätte es nicht erwähnen dürfen.«
»Ist schon gut. Aber was …«
»Bitte sehr, wir sind fertig. Sehr hübsch!«, sagte Betty und beeilte sich, die letzte Haarnadel festzustecken. »Wenn Sie sonst nichts mehr brauchen, Miss, sollte ich jetzt den anderen Ladys helfen. Da Mrs Plumtrees Bedienstete wieder weg sind, müssen wir uns zu zweit um Sie vier kümmern.«
»Natürlich, gehen Sie nur. Ich brauche Sie nicht mehr.«
»Danke, Miss.« Betty machte einen hübschen Knicks und eilte davon. Maria sah ihr grübelnd nach.
Ein alter Skandal. Hatte der Zwist zwischen Oliver und seiner Großmutter vielleicht damit zu tun? Konnte sie es wagen, ihn danach zu fragen? Wahrscheinlich würde er ihr einfach die Antwort verweigern, wie immer.
Seufzend verließ Maria ihr Schlafgemach und hoffte, dass sie den Frühstücksraum fand, wo auch immer er sich befinden mochte. Sie hatte sich bemüht, Lady Celias Erklärungen aufmerksam zu lauschen, als sie sie durch das Haus geführt hatte, doch es kam ihr vor wie ein riesiges Labyrinth, und sie war sich nicht sicher, wo sie am Ende herauskommen würde. Zum Glück stieß sie auf einen Diener, der ihr den Weg wies.
Als sie den Frühstücksraum betrat, stellte sie überrascht fest, dass Oliver bereits mit seiner Großmutter, seinen Schwestern und Freddy am Tisch saß. Lady Celia hatte ihr den Eindruck vermittelt, er wäre kein Frühaufsteher. Aber so früh war es auch gar nicht mehr. Sie hatte so lange dafür gebraucht, ihr Schlafgemach aufzuräumen, dass es inzwischen fast neun Uhr sein musste.
»Ah, Miss Butterfield, da sind Sie ja«, sagte Mrs Plumtree, als Maria hereinkam. »Oliver hat mir gerade von der Tragödie erzählt, die Ihren Koffern widerfahren ist. Es ist wirklich bedauerlich, dass Ihnen der Schneider kein besseres Kleid leihen konnte.«
Sie straffte die Schultern. »Ja, äußerst bedauerlich.«
»Ich sagte gerade zu Großmutter«, bemerkte Oliver, »dass du ein paar neue Kleider in Auftrag gegeben hast. Du sagtest doch, sie seien heute fertig, nicht wahr, Liebling?«
Sie seufzte leise. »Ja, heute.«
Die ganze Familie hatte sich offenbar auf das Thema Kleider eingeschossen. Sie musste einfach mitspielen, so gut es ging, denn Freddy war ihr wieder einmal keine Hilfe. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, Rührei in sich hineinzustopfen, um ihr auch nur den kleinsten Hinweis darauf zu geben, was für eine Geschichte sich Oliver ausgedacht hatte.
Oliver bestrich seinen Toast mit Butter. »Ich dachte, wir fahren in die Stadt, um sie abzuholen und zu besorgen, was immer du sonst noch brauchst. Wenn es dir recht ist.«
Mrs Plumtree zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
»Natürlich«, entgegnete Maria fröhlich.
Freddy sah ruckartig auf. »Ich muss doch nicht mit, oder? Ich hasse Einkaufen.«
»Du bist doch mein Aufpasser«, wies Maria ihn zurecht.
Sonderbarerweise war Oliver plötzlich sehr
Weitere Kostenlose Bücher