Lord Tedric 01 - Lord Tedric
hörte er jemanden rufen: »Tötet sie nicht! Seid vorsichtig, ihr wißt, wir brauchen sie lebend!« Die Stimme erstaunte ihn. Sie war zu schrill, fast unmenschlich. Dann wurde ihm klar, was das bedeutete: die Person, die diese Worte gerufen hatte, war ein Lebewesen, das ihm noch nie zuvor im ganzen Universum begegnet war. Es war eine Frau. Es gelang Tedric, einen kurzen Blick auf sie zu werfen. Sie stand hoch oben auf einem Hügel, mit aufgeregten Handzeichen dirigierte sie ihre Leute. Einen Augenblick lang verspürte er seine Ohnmacht, er wußte, daß er geschlagen war, daß eine Frau ihn besiegt hatte. Doch so leicht gab er nicht auf. Mit einer plötzlichen Drehung warf er seinen Körper herum, spannte die Muskeln und schwang seine Arme wie Dreschflegel, schleuderte die Angreifer beiseite, die ihn festhielten. Dann packte er blitzschnell sein Schwert und hob es drohend.
Von hinten krachte ein Felsbrocken auf seinen Kopf. Ein rasender Schmerz fuhr durch seinen Körper, er taumelte und brach beinahe in die Knie. Wieder traf ihn der Stein, zwar nicht so hart wie vorher, doch es genügte. Tedric stürzte. Auf seinen Lippen schmeckte er den feuchten Staub von Evron 11. Es gelang ihm gerade noch, den Kopf leicht zu wenden und hochzuschauen, bevor er das Bewußtsein verlor. Sein Bezwinger stand über ihm, hielt den Felsbrocken noch in der Hand. Trotz des schwachen Sternenlichtes konnte Tedric erkennen, daß es ebenfalls eine Frau war. Bevor ihm die Sinne schwanden, durchzuckte eine Erkenntnis seinen Verstand: der Gegner, den er getötet hatte, war auch eine Frau gewesen.
*
Als Tedric zum ersten Mal erwachte, dröhnte sein Kopf, der hin und her rollte, als führte er ein Eigenleben, und feurige Ringe tanzten vor seinen Augen. Er wollte sich mit der Hand an die Stirn fassen, doch seine Hände waren gebunden. Er öffnete die Augen und erkannte, daß man ihn an Händen und Füßen auf einem hölzernen Pfahl festgebunden hatte. Seine Träger, die er nur schemenhaft erkennen konnte, nahmen keine Rücksicht auf ihn, bei jedem Schritt schlug sein Kopf gegen den Pfosten. Er versuchte, Nolan und Keller zu erspähen, was ihm jedoch mißlang. Sein ganzer Körper bestand nur aus Schmerzen, seine Rückenmuskeln scheuerten sich an dem harten Holz des Pfostens. Er schloß die Augen und versank wieder augenblicklich in einer wohltuenden Ohnmacht.
Als Tedric das zweite Mal erwachte, fand er sich auf einem kalten, glatten Boden sitzend wieder. Seine Arme waren immer noch gebunden, ebenso seine Beine. Ein grell weißer Lichtschimmer stach ihm in die Augen, er schloß sie rasch und fühlte das ständige Klopfen in seinem Kopf. Vorsichtig öffnete er seine Augen wieder und entdeckte, daß der Lichtstrahl von einer flackernden Laterne herrührte.
Der Raum, in dem er, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, gefangensaß, lag unter der Erde und war sehr eng. Ein Mann hätte kaum Platz gehabt, sich frei darin zu bewegen. Tedric bemerkte Keller und Nolan, die, ebenfalls an Händen und Füßen gebunden, rechts und links neben ihm saßen. Doch nur Keller war bei Bewußtsein.
Tedric fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und versuchte dann, zu sprechen. Seine Zunge fühlte sich geschwollen an, doch seine Worte waren gut verständlich. »Also leben wir noch?«
Keller nickte. »Ich ja, auch Nolan. Er ist vor wenigen Augenblicken aufgewacht. Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht.«
»Jemand hat mir mit einem Stein auf den Kopf geschlagen.«
»Ich weiß, ich habe es gesehen. Sie sind wie der Teufel auf die Gegner losgegangen. Auch ich hätte gekämpft, doch sie waren schon über mir, bevor ich überhaupt begriff, was geschah. Es tut mir leid, denn Sie hätten Hilfe brauchen können.«
Tedric runzelte die Stirn. »Das hätte nichts geändert, denn es waren ohnehin zu viele.«
»Auch Frauen! Ich hätte daran denken sollen. In den Minen übertreffen die Frauen die Männer zahlenmäßig im Verhältnis 1:20. Sie werden von ihren Eltern an die Männer verkauft.«
»Verkauft? Wie Sklaven?«
»Man umschreibt das hier mit dem Wort Verpflichtung.«
Wieder runzelte Tedric die Stirn. »Aber sie wußten genau, wo wir uns befanden. Das gefällt mir gar nicht. Es schien mir fast, als hätten sie dort auf uns gewartet.«
Der Klang der Stimmen hatte Nolan anscheinend aufgeweckt. »Ich sehe, ihr kommt zu dem gleichen Schluß wie ich. Bestimmt hat auch hier Carey seine Finger im Spiel. Zur Hölle mit ihm! Er schickt uns hierher, damit wir hier
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