Lords of Salem: Roman (German Edition)
durchhalten, bis ein Krankenwagen kam.
Kurz darauf hatte sie es ganz bis in den Flur geschafft. Ihr Geist stieg von der Decke herab, um den Körper wieder in Beschlag zu nehmen, und sie musste sich zusammenreißen, damit sie nicht vor Schmerz schrie. Aber durch die Rückkehr in ihren Körper fühlte sie sich stärker. Sie spürte, wie das Adrenalin durch ihre Adern gepumpt wurde, und es gelang ihr, zur Wand zu kriechen und sich auf die Knie zu ziehen. Aus dieser Position kam sie mit enormer Willensanstrengung auf die Beine, stützte sich gegen die Wand und rang um Atem. Sie sah, dass die Wand dort, wo sie sie berührt hatte, voller Blut war, und wusste, dass sie, wenn sie sich umdrehte, auch hinter sich im Flur eine Blutspur sehen würde. Blick nicht zurück , sagte sie sich. Geh einfach weiter.
Und das hätte sie auch getan, doch als sie aufblickte, sah sie eine Frau vor sich stehen, eine große Frau mit strengem Gesicht und dunklen Augen und grausamem Mund. Sie stand mitten im Flur und blockierte Heidi den Weg.
Plötzlich war jeder Laut aus dem Flur entwichen. Heidi hörte weder den Wind, der draußen rauschte, noch die Geräusche des Hauses noch ihren eigenen Atem. Es schien, als wäre der gesamte Flur in Watte gepackt und vom Rest der Welt separiert worden und nichts anderes mehr existent. Sie konnte auch ihren Körper nicht mehr spüren, doch dieses Mal schwebte sie nicht darüber, sondern befand sich darin – sie spürte ihn einfach nicht. Sie empfand eine merkwürdige Ruhe. Darin lag etwas Tröstliches, doch sie hatte den Eindruck, es wäre der Trost, den man im Tod fände, falls man diesen Zustand wahrnehmen könnte. Es war, als stünde sie unter einem Zauber.
Sie starrte die Frau im Flur an und fragte sich, ob sie versuchen sollte, um sie herum zu gehen, obwohl sie nicht sicher war, ob sie sich überhaupt bewegen konnte. Ehe sie eine Entscheidung treffen konnte, begann die Frau mit gedämpfter, fast unhörbarer Stimme zu sprechen.
» Ich bin Margaret Morgan, mein Kind. Ich werfe einen Blick durch die Zeiten auf dich, dank der Macht meines Dunklen Herrn. Du hast nichts getan, und doch wirst du leiden. Und doch bist du auserwählt.«
Heidi blickte an der Frau vorbei zu ihrer Wohnungstür. Sie lauschte, ob sie Steve kratzen hören könnte, doch im Flur schien es außer Morgans sanfter, seltsam beruhigender Stimme keine Geräusche zu geben.
» Spüre die Erde … rieche die Luft. Hörst du es?«, fragte Morgan. Sie legte eine gewölbte Hand an ihr Ohr. Heidi lauschte, doch sie hörte noch immer nichts außer Morgans Stimme. » Das Geräusch der Wolken und der Geruch des Windes … alles wird eins. Die Huren der Täuscher werden sich versammeln und uns unter Schmerzen einen König gebären. Du, meine geliebte Schwester, bist das Messer, mit dem wir den Töchtern Salems die Haut abziehen.«
Während sie sprach, begann Rauch um sie aufzusteigen. Dann Flammen. Und dann, obwohl ihre Stimme sanft blieb und sich überhaupt nicht veränderte, begann sie zu brennen. Ihre Haut rötete sich, warf Blasen, knisterte und wurde schließlich schwarz.
» Alle werden die Qualen der Schwestern erfahren …«, sagte sie zu Heidi. Allmählich wurde ihre Stimme brüchiger, schwerfälliger und zögernder, während ihre Augen sich mit Schmerz füllten. » Meine Qual … der Schmerz empfindsamen Fleisches, das am eigenen Leibe kocht … Sie werden spüren, was ich spürte … Sie werden …«
Margaret Morgan konnte nicht fortfahren. Ihr Haar fing Feuer, ihr Gesicht ebenso. Sie schien noch mehr sagen zu wollen. Doch als es ihr gelang, wieder den Mund zu öffnen, während ihr Kopf von den Flammen verschlungen wurde, drang nur ein schrecklicher Schrei heraus.
21
S ie setzte sich kerzengerade auf und schnappte nach Luft. Wo war sie? Im Flur, während die Frau vor ihren Augen Feuer fing? Nein, sie befand sich in ihrem Schlafzimmer, im Bett, und im Fernsehen lief noch immer das Interview mit dem Mafiakiller. Sie musste eingenickt und in einen Albtraum gerutscht sein.
Doch in einem Winkel ihres Geistes sah sie nach wie vor den rot beleuchteten Raum, spürte den Geruch brennenden Fleischs in der Nase. Was für ein Scheiß, eine Frau, die plötzlich einfach so in Flammen aufging. Einerseits erkannte sie, dass es ein Traum gewesen und nicht wirklich geschehen war. Andererseits fühlte es sich immer noch so echt an, dass sie kaum glauben konnte, dass es nicht passiert war.
Einen Moment lang saß sie mit rasendem Herzen da, dann
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