Lords of Salem: Roman (German Edition)
schlich den Mittelgang entlang auf die Quelle des Geräuschs zu. Nachdem sie ein paar Bänke passiert hatte, schien das Geräusch nicht mehr von vorn, sondern von der Seite zu kommen. Langsam trat sie zwischen die Bänke und folgte der Sitzreihe.
Das Geräusch wurde lauter und lauter. Ja, eindeutig Stimmen. Aber warum sollte sich jemand dort im Dunkeln verstecken?
Sie sah sie nicht, bis sie direkt vor ihnen stand. Sie waren schwarz gekleidet und hoben sich kaum von der Dunkelheit ab, und wenn sie nicht geflüstert hätten, wäre sie wahrscheinlich geradewegs in sie hineingelaufen. Als ihr Fuß über den Boden schabte, hörten sie sie kommen, unterbrachen ihr Gespräch und wandten ihr abrupt die Köpfe zu. Sie sah den weißen Stoff um ihre Gesichter. Die Gesichter selbst waren kaum zu erkennen, doch soviel sie in der Dunkelheit ausmachen konnte, sahen sie sehr alt aus.
» Oh, hallo Schwestern«, sagte Heidi. » Entschuldigung. Ich habe Sie nicht gesehen. Ich habe nur einen Platz gesucht, an dem ich mich aufwärmen kann.«
Die beiden Nonnen betrachteten sie, ohne etwas zu sagen. Starrten sie einfach an.
» Ich wollte Sie nicht stören«, sagte Heidi.
» Du störst uns nicht«, sagte die erste Nonne mit knarrender alter Stimme.
» Nein, du störst uns nicht«, sagte die andere. » Wir haben dich erwartet.«
Die Erste stieß sie mit dem Ellbogen an.
» Mich erwartet«, sagte Heidi. » Wie ist das möglich?«
» Sie hat das nicht so gemeint«, sagte die Erste. » Wir haben jemanden erwartet, aber nicht dich. Wie soll das möglich sein?«
» Ja«, sagte die Zweite mit in der Dunkelheit leuchtenden Augen. » Wie soll das möglich sein?«
» Hm«, meinte Heidi. » Mir ist jetzt warm. Ich sollte besser gehen.«
Sie wandte sich um und ging durch die Reihe zurück.
» Warte«, sagte die zweite Nonne. » Was trägst du für einen Duft?«
» Duft?«, fragte Heidi. » Meinen Sie Parfüm? Ich benutze keines.«
» Aber du riechst so gut«, sagte die zweite Nonne. » Man könnte dich fast auffressen.«
» Schwester«, schaltete sich die erste Nonne ein. » Erst denken, dann reden.«
» Also«, sagte Heidi schnell, » ich muss los.«
Sie rannte fast die restliche Strecke bis zur Kirchenpforte und entspannte sich erst, als sie wieder draußen in der Kälte war. So viel zum Thema erholsamer Schlaf , dachte sie. Kopfschüttelnd eilte sie nach Hause.
27
I hre Hände taten weh, als sie an der Haustür ankam. Es fiel ihr schwer, die Schlüssel hervorzuholen, mit steifen Fingern den richtigen herauszusuchen und die Tür aufzuschließen. Sie sah nach der Post und ging auf die Treppe zu.
Aus Lacys weit offen stehender Tür fiel Licht in den Flur. Stimmen und Gelächter drangen heraus. Heidi stöhnte – auf Gesellschaft konnte sie heute Nacht gut verzichten. Auf dem Weg zur Treppe musste sie die Tür passieren. Sie würde einfach schnell und leise vorbeigehen, sagte sie sich, und hoffentlich nicht gesehen werden.
Auf halbem Weg wagte sie einen Blick hinein. Lacy saß mit einem Glas in der Hand auf einem Stuhl mit hoher Lehne, der beinah wie ein Thron aussah. Gebannt hörte sie einer spitznasigen Frau zu, die etwa in ihrem Alter war, um die sechzig, und deren dichtes wirres Haar knallrot gefärbt war. Zu ihrer anderen Seite saß eine kecke, offenbar etwas jüngere Frau mit kurzem, stufig geschnittenem blondem Haar. Letztere wandte sich um, sah Heidi direkt an und lächelte.
Heidi eilte weiter. Sie hatte gerade den Fuß auf die erste Stufe gesetzt, als Lacys Stimme durch den Flur tönte.
» Heidi!«, rief sie. » Komm, du musst meine Schwestern kennenlernen.«
Heidi atmete tief durch. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war eine Vermieterin, die zugleich ihre Freundin sein wollte. Sie riss sich zusammen und kehrte zur Tür zurück. Mit gekünsteltem Lächeln streckte sie den Kopf durch den Rahmen und winkte.
» Das ist Megan«, sagte Lacy und zeigte auf die Frau mit dem roten Haar. » Und das ist Sonny.« Sie wies auf die blonde Frau. Komisch, dachte Heidi, sie sehen gar nicht wie Lacys Schwestern aus. Sie konnte keine große Ähnlichkeit feststellen. War Lacy vielleicht adoptiert worden?
» Hallo«, sagte Heidi. » Freut mich, euch kennenzulernen.«
» Freut mich auch«, sagte Sonny. » Komm rein, und setz dich zu uns. Wir beißen nicht.«
Megan nickte nur und hob ihr Weinglas.
Lacy lächelte. » Bitte, komm rein, Heidi.«
» Hey, danke«, sagte Heidi. » Aber heute Abend passt es mir nicht so gut. Ich wurde
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