Lords und Ladies
erst vor kurzem aufgeschichtet
worden zu sein.«
»Außerdem hat Esme gestern die Uhr aufgezogen«, murmelte Nanny.
»Und die Teebüchse ist halb vol – hab’ gerade einen Blick hineingewor-
fen.«
»Und?«
»Esme war nicht sicher«, sagte Nanny. »Hmm.«
Sie öffnete den an sie adressierten Umschlag. Er war größer und fla-
cher als der mit dem Testament, enthielt nur ein Pappschild.
Nanny las es, ließ es dann auf den Tisch fallen.
»Komm!« stieß sie hervor. »Wir haben nicht viel Zeit.«
»Was ist denn?«
»Und nimm die Zuckerdose mit!«
Nanny riß die Tür auf und lief zu ihrem Besen.
»Komm!«
Magrat griff nach dem Schild. Die Handschrift wirkte vertraut, stamm-
te eindeutig von Oma Wetterwachs.
Krakelige Buchstaben bildeten folgende Botschaft:
ICH BINNE NICH TOT.
»Halt! Wer da?«
»Warum hältst du mit einem Arm in der Schlinge Wache, Shawn?«
»Dienst ist Dienst, Mama.«
»Na schön. Laß uns eintreten.«
»Bist du Freund oder Feind, Mama?«
»Shawn, hier neben mir steht die Fast-Königin Magrat, hast du ver-
standen?«
»Ja, aber ihr müßt…«
»Öffne das Tor, und zwar sofort !«
»Aua – ja, Mama!«
Magrat bemühte sich, mit Nanny Schritt zu halten, als sie durchs Schloß
eilte.
»Der Zauberer hatte recht«, sagte die jüngere Frau. »Oma ist tot. Ich
finde es durchaus verständlich, daß du das Gegenteil hoffst, aber ich
weiß, wann jemand tot ist.«
»Nein, weißt du nicht. Vor einigen Jahren bist du tränenüberströmt zu
mir gekommen, und es stellte sich heraus, daß sie nur borgte. Sie nahm
den Zwischenfall zum Anlaß, dieses Schild zu machen.«
»Aber…«
»Sie wußte nicht genau, was geschehen würde«, fuhr Nanny fort. »Und
das genügt mir.«
»Nanny…«
»Man weiß nie genau Bescheid, wenn man nicht nachsieht«, sagte
Nanny Ogg und legte damit ihre eigene Unschärferelation dar.
Sie schob schwungvoll die Tür des Großen Saals auf.
»Was geht hier vor?«
Ridcully stand auf und wirkte verlegen.
»Nun, es erschien mir nicht richtig, sie allein zu lassen…«
»Meine Güte!« Nanny beobachtete die Szene. »Kerzen und Lilien. Ich
wette, du hast sie selbst gepflückt, im Garten. Und dann hast du Esme
hier drin eingesperrt.«
»Nun…«
»Ohne ein einziges Fenster zu öffnen! Hörst du sie nicht?«
»Was soll ich hören?«
Nanny sah sich rasch um und griff nach einem silbernen Kerzenstän-
der.
»Nein!«
Magrat nahm ihr den Gegenstand aus der Hand.
»Zufälligerweise…« Sie holte aus. »… ist dies…« Sie zielte. »… mein
Schloß… fast…«
Der Kerzenständer sauste durch die Luft, drehte sich dabei um die ei-
gene Achse und traf ein großes Fenster. Buntes Glas splitterte.
Sonnenschein strömte frisch und ungefiltert auf den Tisch – im lang-
samen magischen Feld der Scheibenwelt war die Bewegung deutlich zu
erkennen. Bienen glitten durch die Lichtbalken wie Murmeln durch glän-
zende Röhren.
Der Schwarm senkte sich auf den Kopf der Hexe herab und sah aus
wie eine gefährliche Perücke.
»Was…«, begann Ridcul y.
»Bestimmt gibt sie wochenlang damit an«, sagte Nanny. »Mit Bienen
hat es noch niemand geschafft. Weil ihr Selbst überall ist, weißt du. Das
Ich beschränkt sich nicht auf ein Insekt, sondern verteilt sich auf den
ganzen Schwarm.«
»Was soll…«
Oma Wetterwachs’ Finger zuckten.
Die Augen gingen auf.
Ganz langsam setzte sie sich auf, und offenbar fiel es ihr nicht leicht,
den Blick auf Magrat und Nanny Ogg zu fixieren.
»Ich möchte einen Blumenstrausss, einen Topf mit Honig und jeman-
den, den ich ssstechen kann.«
»Wir haben die Zuckerdose mitgebracht, Esme«, sagte Nanny Ogg.
Oma warf einen hungrigen Blick darauf und sah dann zu den Bienen,
die von ihrem Kopf starteten – wie Jagdmaschinen von einem zum Un-
tergang verurteilten Flugzeugträger.
»Gib ein bißchen Wassser dassu und schütt den Zucker für sssie auf
den Tisch.«
Oma Wetterwachs lächelte triumphierend, als Nanny Ogg davoneilte.
»Ich habe esss mit Bienen geschafft! Esss hiesss immer, niemand könnte esss mit Bienen schaffen, aber mir issst esss gelungen! Man hat dann ein
Ssselbst, dasss in sssahllose verschiedene Richtungen fliegt! Man musss
gut sssein, um esss mit Bienen zu schaffen!«
Nanny Ogg leerte die Schüssel mit improvisiertem Sirup auf dem
Tisch. Der Schwarm landete darauf.
»Du lebst?« brachte Ridcul y hervor.
»Dasss issst der Vorteil einer Universitätsssbildung«, kommentierte
Oma
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