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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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de.«
    Sie hatte das Gefühl, zu ihm gehen, ihn beruhigen zu müssen, doch ihre Angst, z u rückgewiesen zu werden, war zu groß. So blieb sie einfach nur stehen und suchte nach Worten.
    Plötzlich stand Erland wieder auf, mit einem solchen Ruck, dass der Hocker nach hinten polterte. »Komm mit«, sagte er und wandte sich zur Tür.
    »Wohin?«
    »Wir gehen zum Grafen.«
    Sie sah sich wieder auf dem Lurlinberg, sah Graf Wi l helm vor sich stehen, wie er beschwörend auf sie einr e dete: Du wirst vergessen, dass du mit uns hier oben warst. Du wirst niemals, niemals darüber sprechen!
    »Ich kann nicht«, entgegnete sie. »Er wird mich b e strafen.«
    Erland starrte sie einen Augenblick lang schweigend an, dann sagte er: »Ich trage die Verantwortung. Wenn es irgendwen zu bestrafen gibt, dann mich.«
    »Aber das will ich nicht!«
    »Der Graf muss erfahren, was du gesehen hast. Wenn es wirklich die Naddred waren, muss er etwas unterne h men.«
    Langsam setzte sie sich in Bewegung und ging mit ihm zur Tür. In ihr tobte eine so vage, verschwommene Furcht, dass sie kaum hätte sagen können, was es eigen t lich war, das s ie fürchtete. Ihr ganzer Körper war in Au f ruhr, ihr Magen schmerzte, ihre Beine zitterten. Der Krampf in ihrer Wade war verschwunden, aber das machte kaum einen Unterschied. Auch so fiel ihr jeder Schritt unendlich schwer. Am liebsten hätte sie sich ei n fach in einer Ecke verkrochen und so getan, als hätte die Welt um sie herum aufg e hört zu existieren.
    Der Graf empfing sie widerwillig und in fürchterlicher Laune. Der Tod seines Bruders schien ihn weniger b e troffen als wütend zu machen. Ailis wusste im selben A u genblick, da sie ihn sah, dass dies der denkbar schlechteste Moment war, um ihm zu gestehen, was pa s siert war.
    Sie überließ das Reden Erland, obwohl er dabei alles andere als wortgewandt vo r ging. Aus seiner tiefen, brummigen Stimme war seine Unsicherheit deutlich he r ausz u hören. Er vermied es, den Grafen anzusehen, und so war es Ailis, die immer wieder Wilhelms Blicke kreuzte, um festzustellen, wie er die Worte des Schmi e des aufnahm. Was sie sah, machte ihr wenig Hoffnung auf einen guten Ausgang dieser Begegnung.
    Erland berichtete von Ailis’ Entdeckung, erwähnte aber weder, dass sie hinab in den Schacht gestiegen war, noch dass sie diejenige war, die den Schlüssel gestohlen hatte.
    Nachdem Erland zum Ende gekommen war – st o ckend, holprig und nicht besonders einfühlsam –, richtete der Graf seine Augen auf Ailis.
    »Naddred!«, sagte er voller Abscheu, aber sie wusste nicht, ob diese Abneigung ihr oder den Druiden galt. »Glaubt ihr wirklich, ich hätte keine anderen Sorgen, als mich mit solchen Hirngespinsten abzugeben?«
    »Aber, Herr, Ihr – «
    »Unterbrich mich nicht!«, fuhr er sie an. »Du liebe Güte, w eißt du, wie lange es her ist, dass man zuletzt Naddred gesehen hat? Meine Großeltern haben mir d a von erzählt, und sie hatten die Geschichten von ihren Großeltern, und der Teufel allein weiß, wo jene davon gehört hatten!«
    Erland wollte etwas sagen, doch Ailis kam ihm zuvor. Trotz ihrer Angst spürte sie Zorn in sich aufsteigen. »Herr, ich habe sie mit eigenen Augen gesehen!«
    »Was hast du gesehen?«, entgegnete er und beugte sich mit finsterer Miene vor. »Ein paar Männer in Ku t ten. Na und? Es mögen Mönche gewesen sein. Es gibt mehr als ein Kloster in der Nähe.«
    »Und sie beten ausgerechnet auf dem Lurlinberg?«, fragte sie zweifelnd.
    Der Blick des Grafen wurde kalt und berechnend. Sie hatte ihn erst ein einziges Mal so erlebt und sie erinnerte sich nicht gerne daran.
    »Ich habe dir schon damals gesagt«, sagte er scharf, »dass du auf dem Berg nichts zu suchen hast.«
    »Gilt das auch für Naddred?«, gab sie schnippisch z u rück.
    Er machte ein paar schnelle Schritte auf sie zu, blieb aber zwei Mannslängen vor ihr stehen, als scheute er ihre Nähe. Vielleicht ahnte er längst, was sie dort oben getan hatte.
    »All die Jahre hast du weit mehr Aufmerksamkeit b e kommen, als dir gebührt«, fauchte er. »Fehlt dir das, nun da Fee nicht mehr hier ist? Erfindest du solche Geschic h ten, um dich wichtig zu machen?«
    Sein Hohn berührte sie nicht. Stattdessen sagte sie mit betonter Ruhe: »Wollt Ihr behaupten, es sei Fee gewesen, die mir die ganze Zeit über solche Vorteile verschafft hat? Ihr wisst es besser, Herr Graf, und ich ebenfalls. A l les, was geschehen ist, geschah auf Euren Wunsch. Ihr habt Fee und m ich am selben Zügel

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