Loretta Chase
Küchenmädchen unterhalten hatte, war mit
einem Satz bei ihr und verstellte ihr den Weg. »Verzeihen Sie, Miss, aber Sie
können da nicht reingehen. Es ist zu gefährlich. Mir wurde eben gesagt, dass er
ihnen mit dem Hackebeil gedroht hat. Ich würde vorschlagen, dass ich vorgehe
und ihn zunächst entwaffne.«
Olivia
musterte Nichols von oben bis unten. Selbst in einer Ritterrüstung wäre er ein
Leichtgewicht gewesen.
»Er ist
zäher, als er aussieht«, ließ Lisle sich dicht hinter ihr vernehmen – gerade
so, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Und stark«, raunte er vielsagend.
»Erstaunlich ausdauernd – zumindest eilt ihm dieser Ruf bei den Ägypterinnen
voraus.«
Seine
Stimme war zu leise, sein Mund viel zu nah. Sein Atem war warm, kitzelte ihr
Ohr und ihren Hals.
Das konnte
sie gerade gar nicht gebrauchen.
Männer.
»Danke,
Nichols«, sagte sie, »aber wir können unmöglich Ihr Leben aufs Spiel setzen.«
An Lisle gewandt fügte sie leise hinzu: »Wir dürfen nicht den Anschein
erwecken, als ließen wir uns von einem wild gewordenen französischen Koch
einschüchtern. Wenn die Dorfbewohner davon erfahren, lachen sie sich tot und
wir finden überhaupt keine Arbeiter mehr.«
»Tut mir
leid, Nichols«, sagte Lisle vernehmlich. »Wir können Ihnen nicht den ganzen
Spaß überlassen. Miss Carsington und ich kümmern uns schon darum.«
Olivia
winkte ihn mit herrischer Geste fort.
Nichols
trat beiseite.
Hinter der
Küchentür brach abermals wildes Gebrüll los.
Olivia
gebot Nichols mit funkelndem Blick Einhalt, dann riss sie die Tür auf und
stürzte sich in die Höhle des Löwen.
Olivia versuchte, ihm in dem schmalen
Korridor vorauszueilen, aber Lisle schnappte sie sich, hob sie kurzerhand hoch
und setzte sie hinter sich wieder ab. Letzteres – sie wieder loszulassen – war
längst nicht so einfach wie man vielleicht meinen mochte. Zwar war sie leichter
als gedacht – die weiten, gerüschten Röcke und gebauschten Ärmel trogen das
Auge –, doch ihre Kleider raschelten so verlockend wie seidene Laken. Was ihn
naturgemäß auf abwegige Gedanken brachte und ihm ihre schmalen Füße in
Erinnerung rief, ihre schlanken, anmutigen Finger, ihre seidig glatte Haut ...
Alle Träume und Fantasien, die er sich so streng versagt hatte, spukten ihm auf
einmal durch den Kopf. Natürlich verscheuchte er sie sogleich wieder.
»Du kannst
gern das Reden übernehmen«, sagte er. »Aber ich werde zuerst hineingehen und
die Lage auf tödliche Geschosse hin sondieren.«
»Sei nicht
dumm«, erwiderte sie. »Glaubst du, ich wüsste nicht mit einem Koch umzuspringen?«
Mit spitzen Ellenbogen stieß sie ihn aus dem Weg und stob an ihm vorbei in die
Küche. Leise fluchend setzte Lisle ihr nach.
Ein Blick
über ihre Schulter zeigte ihm einen rotgesichtigen Aillier, der furios das
Hackebeil schwang. Da der erzürnte Koch sechs Fuß groß und drei Fuß breit und
zudem von einer Vielzahl blank gewetzter Messer umgeben war, ließ sich leicht
nachvollziehen, warum das Küchenpersonal angesichts seines Wutausbruchs
schleunigst das Weite gesucht hatte.
Lisle hatte
ihn ja schon von draußen toben hören. Bei näherem Hinhören stellte sich heraus,
dass der Koch gleich in drei Sprachen tobte, doch praktisch lief es auf
Folgendes hinaus: »Diese Küche! Welch ein Loch! Sie primitiv zu nennen wäre
noch zu viel des Lobes! Eine Höhle ist es! Eine verdammte Höhle. Für Barbaren
und Tiere. Niemand kann von mir erwarten, dass ich – ich! – in einer
barbarischen Höhle koche!«
Als Olivia
hereingerauscht kam, hielt der Koch inne. Der Mund stand ihm offen, das
Hackebeil verharrte auf halber Höhe.
»Lassen Sie
sich nicht stören«, meinte sie. »Was haben Sie da eben gesagt?«
Aillier
fasste sich rasch wieder. »Es ist nicht auszuhalten, Mademoiselle!«, rief er.
»Wir sind von Barbaren umzingelt. Diese Dorfbewohner ... das sind Wilde! So
unwissend! Wie soll ich Ihnen verständlich machen, was ich brauche? Sie
sprechen weder Englisch noch Französisch. Kein Deutsch oder Italienisch. Sie
klingen wie die Tiere, ein einziges Grunzen und kehliges Gurgeln.«
»Das sagt
der Richtige«, murmelte Lisle.
»Verstehe«,
meinte Olivia. »Die Dorfbewohner sind Ihrer unwürdig. Und weiter?« Aillier
fuchtelte mit dem Hackebeil herum, zeigte erst auf den Ofen, dann auf die
riesige Feuerstelle – die sogar ihn klein erscheinen ließ –, den Spülstein und
den Ausguss, die Pfannen und Töpfe, die sich auf dem alten Küchentisch
stapelten.
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