Loretta Chase
gelegen hatte, als schöne
Worte zu drechseln.
»Ich
brauche kräftige Männer für die Instandsetzung von Gorewood Castle«, sagte er.
»Ich suche Leute, die sich nicht von Geistern, Gespenstern und sonstigen
Spukgestalten in die Flucht schlagen lassen. Dies wird das letzte Mal sein,
dass ich mich in Gorewood nach Arbeitern umschaue. Nichols hier hat eine Liste
zusammengestellt, was wir an Steinmetzen, Schreinern und so fort brauchen. Jene
von euch, die Arbeit wollen, sollen ihren Namen auf die Liste setzen und sich
morgen früh um
Punkt acht Uhr auf Gorewood Castle zur Arbeit einfinden. Wenn Nichols nicht
genügend Namen zusammenbekommt, werde ich mich in den Highlands umschauen, wo
es, wie mir gesagt wurde, noch richtige Männer geben soll.« Er trank aus
und ging.
Roy schaute ihm nach – ebenso wie alle
anderen. Im Schankraum herrschte Totenstille,
alle starrten auf die Tür, durch die eben der Sohn des Burgherrn verschwunden
war.
Dann
drehten sie sich um und besahen sich den schmächtigen Burschen, der mit Stift und
Notizbuch am Tresen stand.
Plötzlich
stieß Tam MacEvoy ein lautes Johlen aus, jemand stimmte ein, und schon schüttelten
sie sich alle vor Lachen, als hätten sie ihr Lebtag nichts Lustigeres gehört.
»Habt ihr
das gehört?«, rief Tam, als er wieder Luft bekam.
»Erst die
Rothaarige und jetzt er«, grölte ein anderer.
»Hat man so
was schon mal gehört?«, fragte jemand Roy.
»Nö, hat
man nicht«, raunzte Roy. Und es stimmte. Es war geradezu unerhört, dass ein gutes
Dutzend gestandener Schotten sich ohne Widerrede von einem Engländer abkanzeln
ließ – ein Engländer, der zudem nicht der Burgherr war (welcher, wie allgemein
bekannt, ein Idiot war), sondern lediglich dessen Sohn. Roy schaute Jock an, der
noch verwirrter aus der Wäsche guckte als gewohnt.
»Das können
wir ja wohl nicht auf uns sitzen lassen, was?«, sagte Tam. »Wir werden Seiner
Lordschaft schon zeigen, was richtige Männer sind!«
Er marschierte
zu dem schmächtigen Kerlchen, diesem Nichols.
»He, du«,
sagte er.
Dieser
Nichols verzog keine Miene, stand einfach nur da und schaute ihn in seiner herablassend-höflichen
Engländer-Manier an. »Ja, Mr ...?«
»Tam
MacEvoy«, sagte Tam und reckte das Kinn. »Kannst mich gleich draufsetzen.
Tam
MacEvoy, Glaser.«
Und schon
drängelte der Nächste nach vorn. »Mich auch! Craig Archbald, Maurer.«
»Mich
auch.«
Ein großes
Gedränge und Geschubse setzte ein, als könne keiner es erwarten, sich zur Arbeit
zu verpflichten.
»Roy?«,
flüsterte Jock. »Was soll’n wir denn jetzt machen?«
»Uns nicht
melden, was’n sonst?«, sagte Roy. Ganz Gorewood wusste, dass sie ihr Lebtag noch
keiner ehrlichen Arbeit nachgegangen waren. Wenn sie jetzt damit anfingen,
würde man nur Verdacht schöpfen. »Wir benehmen uns so wie immer.«
»Aber ...«
Ȇberlass
das mir. Ich hab ’ne Idee.«
Bis zum Abend bekam Olivia Lisle kaum
zu Gesicht. Nachdem er aus dem Dorf zurückgekommen war, hatte er bis zum
Einbruch der Dunkelheit den Hof vermessen. Danach hatte er eine Stunde mit
Herrick in der Dokumentenkammer zugebracht, ehe er sich
auf sein Zimmer zurückgezogen hatte.
Obwohl sie
es nicht selbst gesehen hatte, wusste sie, dass Lisle sich in seinem
Schlafzimmer, welches das genaue Gegenstück des ihren war, eine Arbeitsecke am
Erkerfenster eingerichtet hatte. Dort hatte er vermutlich gearbeitet, bis es
Zeit war, sich zum Abendessen umzukleiden.
Lieber
nicht an sein Schlafzimmer denken.
Als sie
sich nach dem Essen an den Kamin begaben, gab Lisle die kurze Ansage zum
Besten, die er im »Crooked Crook« gemacht hatte.
»Und
niemand hat etwas nach dir geworfen?«, fragte Olivia.
»Natürlich
nicht«, sagte er. »Laut Nichols haben sie sich, kaum dass ich zur Tür hinaus
war, nicht mehr einbekommen vor Lachen. Danach haben sie sich praktisch darum
geprügelt, sich auf die Liste setzen zu lassen. Ein paar hätten Nichols auch
gleich die Namen sämtlicher Verwandten genannt, denn das wollte dann doch
keiner auf sich sitzen lassen, dass die eigene Familie weniger mutig dasteht
als die ungehobelten Highlander – oder ein junges rothaariges Ding. Denn wir
wissen ja alle, dass du es warst, die sie umgestimmt hat.«
»Aber du
wusstest die Gunst der Stunde zu nutzen«, sagte sie. Schade, dass sie nicht mit
dabei gewesen war. Und danach hätte sie in der Dorfschenke gern Mäuschen
gespielt und gelauscht. Das dürfte sehr amüsant gewesen sein.
»Gut
gemacht«, meinte Lady Cooper.
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