Lost on Nairne Island
hervor. Sie sah aus wie ein Ring aus rohem Teig, der sich um meine Hüfte schloss, hochgequetscht durch den engen Bund meines Rocks. Was war das überhaupt für eine Uniform? War wohl die kleinste GröÃe, die es gab?
Bevor ich mich in dieses Outfit gezwängt hatte, hatte ich mich eigentlich für relativ schlank gehalten. Aber die Uniform wirkte an mir, als wäre sie eigentlich für eine Fünftklässlerin gedacht. Mir wurde inzwischen schlecht bei dem Gedanken, sie tragen zu müssen. Mit einem Mal konnte ich nachvollziehen, warum Menschen Essstörungen entwickelten. Normalerweise gefallen mir meine Kurven, aber jetzt kam ich mir plötzlich geradezu fett vor. Ich versuchte, mich ein wenig gerader aufzurichten und dabei die Luft anzuhalten. Das war schon gleich besser, abgesehen von der Tatsache, dass ich früher oder später wieder würde atmen müssen. Ich war ja wohl total plemplem, dass ich geglaubt hatte, ich könnte diesen Look tragen. Aber wenigstens war das eine positive Art von Verrücktheit. Cheerleader sind ja eher selten verrückt. Ein bisschen vorlaut vielleicht. Oder nervig. Aber niemals im medizinischen Sinne verrückt.
Ich konnte echt nicht fassen, dass ich mich von Nicole dazu hatte überreden lassen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Es gibt schlieÃlich Typen, die fürs Cheerleaden prädestiniert sind. Es ist ihnen angeboren, in diesen Outfits eine gute Figur zu machen. Und sie genieÃen es tatsächlich, sich vor eine Ansammlung von Leuten zu stellen und so Sachen zu brüllen wie:
W IR SIND DIE C OUGARS ,
ABSOLUT UNSCHLAGBAR ,
WIR SIND DIE B ESTE N ,
GLEICH FLIEGEN DIE F ETZEN !
Ich gehörte leider nicht zu den genetisch Auserwählten. Und schlechte Reime waren auch in der gröÃten Arena immer noch nichts anderes als schlechte Reime. In den letzten beiden Wochen hatte ich mir eingeredet, ich wäre der geborene Cheerleader. Ich wollte zwar keiner sein, aber ich wünschte mir so sehr, Freunde zu haben auf dieser Insel, und bislang war Nicole die Einzige, die sich interessiert zeigte. Nicole gehörte zu den Leuten, die Freundschaft und Cheerleaden als ein und dieselbe Sache betrachteten. Sie zur Freundin zu haben, war für mich eine Chance, dieses Jahr zu überstehen, und ohne Anita brauchte ich ganz dringend eine neue Verbündete. Ich machte mir nichts vor. Mir war natürlich klar, dass Nicole mich nur benutzte, doch der Fairness halber musste ich zugeben, dass ich sie ebenfalls nur benutzte, um nicht den Status einer Aussätzigen zu haben. Das schien mir ein recht fairer Deal.
Mittlerweile waren schon wieder zwei Wochen vergangen, und keiner in der Clique hatte meine Pyjamaparty auch nur mit einem Wort erwähnt. Es war fast so, als hätten wir alle eine Geheimhaltungsklausel unterzeichnet oder als wäre das Ganze nie geschehen. Letzten Endes hatte ich nicht mal genäht werden müssen. Im Krankenhaus hatte man mir den Fuà gesäubert und die Wunde mit einem Pflaster zugeklebt. Die Spiegelscherbe hatte ich in ein Stück Papier gewickelt und tief in der Unterwäscheschublade meiner Kommode vergraben.
Ich zog mir erneut den Sweater über und verfolgte mit den Augen, wie der Bund nach oben kroch. Vielleicht sah es ja gar nicht so schlimm aus, wie ich befürchtete. Ich hätte mir am liebsten selbst in den Hintern getreten, dass ich mich über Anita lustig gemacht hatte, als sie sich figurformende Unterwäsche gekauft hatte. Ich hatte ihr erklärt, wir seien zu jung, um ein Mieder zu tragen. Doch inzwischen hätte ich sogar mein bislang ungeborenes erstes Kind hergegeben, wenn ich jetzt eins zur Hand hätte. Ich seufzte. Ich sah bescheuert aus, doch mir blieb keine Wahl. Ich musste so zur Schule gehen. Seit Nicole mich unter ihre Fittiche genommen hatte, konnte ich im Grunde nichts mehr falsch machen. Wenn ich ins Klassenzimmer kam, hatte immer schon jemand einen Platz für mich freigehalten. Irgendwelche Fremden machten mir Komplimente, zum Beispiel für meine Haare. Vielleicht bildete ich es mir ja auch nur ein, doch es kam mir so vor, als würden mich selbst die Lehrer mit einem Mal viel lieber mögen. Wenn ich die Hand hob, nahmen sie mich sofort ran, und ganz gleich, was ich dann auch sagte, sie erwiderten jedes Mal: »Was für eine schlaue Antwort!« Entweder war ich auf einmal viel klüger (was ich bezweifelte), oder aber es färbte bereits auf mich ab,
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