Lost Place Vienna (German Edition)
Musketiere« –
»Bounty« – »Romane«, blitzte es als Assoziationskette auf. Und »Dantons Tod«
war ebenfalls ein Buch, ein gesprochenes Buch, ein souffliertes Buch. Und
Saint-Just gab Robespierre den Brief. Saint-Just war der Souffleur, das hatte
Deutsch gesagt. Jede Wette, dass der Alte vom Strippenzieher geschickt worden
war. Vielleicht war er es sogar selbst gewesen?
Valentina versuchte sich an sein Gesicht zu erinnern. Es hatte
durchschnittlich ausgesehen, nur die Augen waren auffällig wach gewesen. Es war
jetzt auch egal, ob der alte Deutsch Il Cervello war oder nicht. Sie hatte
eine Spur, und der würde sie nachgehen; auch wenn sie noch so zufällig und an
den Haaren herbeigezogen war. Sie spürte, dass sie richtiglag, sie musste zum
italienischen Markt in die Kalvarienberggasse.
* * *
Sie hatte kein Glück. Alle Fahrräder waren abgeschlossen. Nur
eine platte Krücke lehnte verlassen an einem Verkehrsschild. Damit käme sie
niemals in den siebzehnten Bezirk, da konnte sie gleich zu Fuß gehen. Es blieb
ihr nichts anderes übrig, als mit der Straßenbahn zu fahren. Hier wurde weniger
kontrolliert als in der U-Bahn.
Sie stieg in die nächste Bim und setzte sich direkt neben die Tür
auf eine Holzbank, jederzeit fluchtbereit. Ihr Blick fiel auf die Flaggen der
Diplomatengebäude, die die Prinz-Eugen-Straße säumten. Das erinnerte sie daran,
dass Parizek und Bauer an irgendeinem politischen Handel drehten. Jedenfalls
vermutete sie so etwas. Parizek hatte politisch sicherlich keine Ambitionen.
Bauer hingegen schon. Wenn Bauer auf Parizek Druck ausübte, musste er einen
existenziellen Grund dafür haben. Und der konnte bei Bauer nur
karrierepolitisch sein. Wer aber übte auf Bauer Druck aus? Wer konnte Interesse
daran haben, dass drei Frauenmorde nicht regelgerecht aufgeklärt wurden? Warum
suchte man die schnelle Lösung? Und warum war ausgerechnet sie das Bauernopfer?
Vielleicht ging es nur um sie? Vielleicht waren die Leute, die auf Bauer Druck
ausübten, dieselben, die mit ihr die Schnitzeljagd trieben? Es würde Sinn
ergeben. Druck von allen Seiten, nur so konnte man eine Füchsin erlegen.
Die Tür war schneller wieder zu, als Valentina denken konnte. Am
Schwarzenbergplatz hatte sie sich in ihren Kombinationen verloren und nicht
darauf geachtet, wer den Wagen bestieg. Jetzt blickte sie in die Augen eines Mannes,
der ihr mit seinem wuchtigen Körper jeglichen Fluchtweg versperrte.
»Fahrausweise bitte«, sagte er unaufgeregt.
Valentina jagten die üblichen Strategien durch den Kopf. Sie griff
routiniert in ihre Jackentasche und spielte die Erstaunte. Dann suchte sie
hektischer in den anderen Taschen und lächelte schließlich hilflos. Der
Kontrolleur gähnte. Er schien alle Varianten bereits hundertfach erlebt zu
haben, und Valentinas Nummer war bestimmt nicht die kreativste.
»Haben Sie siebzig Euro mit sich?«, fragte er, während er bereits
seinen Belegblock hervorkramte.
Valentina zuckte verneinend mit den Schultern.
»Name, Adresse, am besten Personalausweis.«
Valentina sah sich um. Nach hinten ging gar nichts, und den Brocken
vor sich würde sie allenfalls mit Anlauf zur Seite schubsen können; aber den
Anlauf hatte sie nicht. Sie musste ihn schon k. o. schlagen, wenn sie an
ihm vorbeikommen wollte. Aber was blieb ihr übrig? Die nächste Haltestation
wäre am Opernring. Wenn sie ihn bis dort hinhalten könnte, würde sie ihm zuerst
zwei gezielte Schläge verpassen und dann über ihn zur Tür klettern.
Sie kramte umständlich auf der Suche nach dem Ausweis. Der
Kontrolleur verdrehte bereits gelangweilt die Augen.
»Valentina, was machst du da?«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter
dem Fleischberg.
Valentina kannte die Stimme nicht. Wer war das?
»Hier ist ihre Fahrkarte. Ich habe sie für uns beide gelöst. Sie
müssen entschuldigen, sie macht immer solche Spielchen. Ein Kindskopf,
verzeihen Sie. Ich hoffe, Sie verstehen Spaß.«
Der Kontrolleur drehte sich um und verdeckte noch immer den
unbekannten Sprecher.
»Lustig finde ich andere Sachen«, sagte er, aus der Ruhe brachte es
ihn allerdings nicht. Er besah sich die Fahrkarten und sagte: »Passt.«
Die Bim hielt am Opernring. Die Tür öffnete sich. Der Kontrolleur
drehte sich zu Valentina und reichte ihr wortlos die Karte. Dann stieg er aus.
Hinter ihm stand niemand mehr. Valentina blickte suchend aus dem Fenster und
entdeckte einen schlanken Mann in einem kamelfarbenen Trenchcoat, der sich
rasch unter die Touristen
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