Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
sehen.« Millicent hielt Clarice einen Teller hin. »Möchtet Ihr einen Keks?«
»Nein danke.« Ihre Erschöpfung holte Clarice ein, und plötzlich konnte sie die Augen kaum noch offen halten. »Ich muss vor dem Ball unbedingt noch etwas schlafen.«
»Natürlich, das solltet Ihr tun.« Millicent lächelte, als sie Clarice nachsah. Die Prinzessin war benommen und vollkommen erschöpft. Würde Robert sich wirklich seine Braut selbst erwählen? Ganz bestimmt würde er das. Und Millicent war sich ziemlich sicher, dass sie seine Entscheidung soeben erheblich in ihrem Sinne beeinflusst hatte.
Der Ballsaal schien fertig dekoriert zu sein. Es wurde Zeit, dass die Lakaien ihre Livrees anlegten. Die Dienstmädchen konnten den Gästen beim Ankleiden helfen, und die Köchin musste sich ebenfalls an die Arbeit machen und das Dinner zubereiten. Aber zuerst... Millicent stand auf und klatschte
in die Hände. »Holt euren Tee. Und vergesst nicht, heute Abend verlassen sich die MacKenzies auf euch, auf euch alle. Und jetzt sputet euch!«
Die Bediensteten ließen alles stehen und liegen und gehorchten.
Millicent lächelte. Mit der Hilfe der Bediensteten und Clarice’ Hilfe würde dieser Abend gewiss glattlaufen. Sie würde diesem Ball weit entspannter beiwohnen als jedem zuvor, selbst wenn sie nicht so tun würde, als wäre sie eine Prinzessin. Das wagte sie nicht.
»Millicent«, ertönte Roberts Stimme hinter ihr, »kannst du mir helfen?«
Sie zuckte zusammen, drückte die Hand an ihren Busen und wirbelte herum.
Robert trug die Kleidung eines englischen Landedelmannes. Brauner Tweed und schwarze Stiefel. Er sah seine Schwester ernst an.
»Natürlich, was immer du wünschst.« Gleichzeitig wunderte sie sich, dass er sie überhaupt gefragt hatte. Sie sah sich in dem leeren Ballsaal um. »Gehen wir in meinen Salon.« Sie führte ihn zu der kleinen Kammer, die im Ostflügel lag.
Er deutete auf das Sofa, und nachdem sich Millicent gesetzt hatte, ließ er sich neben ihr nieder. Sie schwiegen, aber es war keine behagliche Stille. Obwohl sie Bruder und Schwester waren, schienen sie nicht zu wissen, was sie sich sagen sollten.
Was würde eine Prinzessin tun? Sie würde ihre Hilfe anbieten. Millicent wäre keinem anderen gegenüber so kühn gewesen, doch jetzt fasste sie sich ein Herz. »Robert, bitte, worum geht es? Ich würde dir gern helfen.«
Er sah sie an. Seine blauen Augen musterten sie aufmerksam, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.
Ich war zu kühn. »Falls es das ist, was du möchtest.«
»Ja. Das möchtest du, stimmt’s?« Er griff nach ihrer Hand, doch als würde er sich nicht trauen, zog er seine Hand wieder zurück.
Kühn griff sie nach seinen Fingern und hielt sie fest. »Ich möchte dir immer helfen.«
Er sah hilflos auf ihre verschränkten Hände, als wüsste er nicht, was er jetzt tun sollte. Dann räusperte er sich. »Du hilfst mir. Das hast du schon immer getan. Du hast dich um das Haus und nach Vaters Tod auch um MacKenzie Manor gekümmert.« Robert lachte verbittert. »Und du hast vor allem Prudence großgezogen, nachdem ich fortgegangen bin. Ich bin kein Narr, deshalb weiß ich, dass Vater dir dabei sicher nicht geholfen hat.«
Millicent hatte nicht gelernt, sich zu beschweren. Um das Leid einer alten Jungfer kümmerte sich niemand. »So schwer war das nicht.«
Robert achtete nicht auf ihre Lüge. »Was für ein schrecklicher Mensch Vater gewesen ist.«
Die beiden beugten sich vor und starrten geradeaus, während sie an den Mann dachten, der ihnen das Leben zur Hölle gemacht hatte. Ihr Vater war ein Tyrann gewesen, ein ehemaliger Offizier, der den Titel nur geerbt hatte, weil seine Geschwister Unglücken zum Opfer fielen. Er war für die Verantwortung, die Wohlstand und Privilegien mit sich bringen, schlecht gerüstet, aber er kannte seine Pflichten der MacKenzie-Familie gegenüber. Er heiratete ihre Mutter, eine Adlige ohne Vermögen, und hatte seine ehelichen Pflichten so oft erfüllt, dass sie sechs Schwangerschaften ertragen musste. Sie starb bei Prudence’ Geburt, und Millicent hatte bittere Tränen vergossen, denn die Mutter war die Einzige gewesen, die zwischen ihrem Vater und den Kindern stand.
Natürlich hatte ihr Vater Millicents Tränen für Schwäche gehalten und ihre Schüchternheit für ein Ärgernis.
»Wie hast du die Jahre allein mit ihm nur überstanden?«, erkundigte sich Robert.
Seine Offenheit machte sie beklommen. »Ich sollte mich nicht beschweren. Immerhin war er
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