Lost Princesses 01 - Der Lord Und Die Rebellin
»Soll ich einen Kreuzstich verwenden?«
»Näht die Wunde einfach zu.« Er beobachtete seine Finger, während er sie vorsichtig bewegte. »Wie viele Schwestern habt Ihr?«
Seine Worte durchfuhren Clarice wie ein Schock. »Schwestern?«
»Ihr sagtet, Ihr hättet Schwestern.«
»Nein, das habe ich nicht gesagt.« Das habe ich nicht. Niemals!
»Ihr sagtet: Uns Mädchen. « Er hob seine Hand aus der Schüssel und trocknete sie mit einem Handtuch ab. »Ihr kommt aus Beaumontagne.«
Die Furcht brannte wie eine Flamme in ihrem Bauch. »Das könnt Ihr unmöglich wissen!«
»Jetzt weiß ich es.«
Er hatte sie hereingelegt. Jetzt kannte er den Namen ihres Landes und konnte sie an die Schurken verkaufen, die ihren
Tod wollten. Er hatte ein weiteres Druckmittel in der Hand, mit dem er sie willfährig machen konnte.
Sie zögerte keine Sekunde, als sie die Nadel in seine Haut stach.
Er zuckte nur unmerklich zusammen. »Also habe ich Recht. Ich habe mich das schon gefragt, seit ich Euch das erste Mal sah. Die Engländer wissen nicht viel über Euer kleines Land, aber als ich auf der Iberischen Halbinsel war, ist uns Soldaten aufgefallen, dass die Frauen von Beaumontagne besonders aussahen, irgendwie... natürlicher.«
Clarice bekam vor Angst kaum ein Wort heraus. »Das liegt nur an meinen Cremes.«
»Und Ihr seid natürlich eine der Prinzessinnen von Beaumontagne«, meinte er spöttisch. »Und Eure Schwestern? Wo leben die?«
Also wusste er nichts von Amy. Clarice holte tief Luft. Amy war in Sicherheit. »Meine Schwestern gehen Euch nichts an!«
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Dieser Mann würde sie nicht ausliefern, jedenfalls nicht absichtlich. Und wenn sie tat, was er von ihr verlangte, würde Amy hoffentlich einigermaßen unbeschadet davonkommen.
Was allerdings ihre eigene Person, Clarice, anging, konnte er von ihr aus bis zum Hades und zurückreiten. Er war ein grober, unhöflicher, brutaler Mann, der nicht das kleinste Entgegenkommen von ihr zu erwarten hatte.
Dennoch hatte er MacGees Leben gerettet. Clarice war davon überzeugt, dass niemand seine Wunde versorgen würde, wenn sie es nicht tat, also musste sie ihn pflegen, ob es ihm nun gefiel oder nicht.
Sie nähte die Hautränder seiner Wunde zusammen und zog sie mit jedem Stich enger. »Woher wisst Ihr, dass ich aus
Beaumontagne stamme?«, fragte sie, während sie die einzelnen Stiche verknotete.
»Ihr sagtet, Blaize wäre halb Araber halb Beaumontagneduine. Es gibt nicht viele Menschen, die von diesem winzigen Land Beaumontagne überhaupt wissen, ganz zu schweigen davon, dass man dort edle Pferde züchtet.«
»Und woher kennt Ihr Beaumontagne? Und die Pferde?« Ihre Finger zitterten. »Woher wisst Ihr das alles?«
Wohlweislich legte er seine Hand auf die ihre und hielt sie fest. »Ich war im Krieg auf der Iberischen Halbinsel. Ich bin durch Portugal und Spanien gereist, war in den Pyrenäen und habe unter anderem auch Andorra und Beaumontagne besucht.«
Sie grub ihre Fingernägel in seine Haut. »Dann wisst Ihr auch etwas von der Revolution!«
Heimweh überfiel sie mit einem scharfen Stich. Die Zeitungen schrieben so wenig. »Sagt mir, herrscht immer noch Aufruhr in dem Land? Oder hat Königin Claudia die Lage wieder unter Kontrolle?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie hätte ihn am liebsten geschüttelt, damit er die Informationen herausrückte. »Was soll das heißen, Ihr wisst es nicht? Ihr wart doch da!«
»Ich bin in der Nacht durchgeritten.« Er ließ ihre Hand los. »Ich bin von einer Herberge zur nächsten geritten und habe Gespräche über Napoleons Armee belauscht.«
Sie hatte so lange Jahre darauf gewartet, nach Beaumontagne zurückgerufen zu werden, und hatte selbst die kleinsten Nachrichten begierig aufgesogen, sich danach gesehnt, zur Botschaft in London zu gehen und dort Fragen zu stellen. Aber das wagte sie nicht. Godfrey hatte ihr eingeschärft, dass weder sie, Clarice, noch Amy vor Attentätern sicher
waren. Selbst wenn sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätte, hätte sie es nicht gewagt, Amy einer möglichen Einkerkerung und damit dem Tod auszuliefern. Jetzt brannte ihr die Enttäuschung bitter auf der Zunge. Sie rächte sich an Hepburn mit der lächerlichsten Anschuldigung, die ihr einfiel. »Was wart Ihr? Eine Art Spion?«
»Nein.«
Nein. Natürlich nicht. Englische Adlige waren keine Spione. Solch geheime Aktivitäten betrachteten sie gewiss als unter ihrer Würde. Sie warfen sich lieber in schicke Uniformen, ritten
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