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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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seinen Plastiküberzügen. »Aber das ist kniffelig, ich sage es Ihnen. Wie ein Fuchsbau: Man sieht erst, wo es noch weitergeht, wenn man eine Ader zu Ende gegangen ist. So ein verzweigtes System habe ich noch nie gesehen. Faszinierend.« Er kommt in Fahrt. Ich linse durch einen Spalt der Schleusentür. Dort drin liegt jetzt Lotta. »Jetzt machen wir erst mal Pause, wir haben uns gerade Pizza bestellt.«
    »Was erwartest du denn?«, fragt Harry, als wir wieder auf den unbequemen Stühlen der Intensivstation sitzen. »Ist gut, dass er Pause macht. Er ist doch auch nur ein Mensch.«
    »Eben.«
    Hinter der OP-Schleuse beginnt für mich ein Ort zwischen Himmel und Erde. Er sollte für Götter reserviert sein. Oder zumindest unerreichbar für den Pizzalieferservice.

    Als die Duisburger Klinik gebaut wurde, sollten die Kinder noch ohne ihre Eltern gesund werden. Ein langer Balkon zieht sich außen an jedem Stockwerk herum, für die Besucher, die an den Zimmern vorbeigehen konnten wie an Guckkästen. In manchen Zimmern kann man noch die Vorrichtungen für die Gegensprechanlage sehen, über die sich Eltern und Kinder unterhalten konnten.
    Heute werden in manchen Krankenhäusern Broschüren mit dem Titel »Schneller gesund dank Mama« verteilt, in denen man ermuntert wird beim Kind zu bleiben oder zumindest seine Stimme auf CD aufzunehmen, eine Gute-Nacht-Geschichte, damit die Schwestern sie abends abspielen können. Trotzdem sind auf Kinderintensivstationen Eltern auch heute noch oft im Weg. In einigen Kliniken werde ich mich weigern müssen zu gehen, wenn die offiziellen Besuchszeiten um sind, und wie viele andere die Nacht im Liegestuhl verbringen. In Duisburg schlafe ich auf einem Klappbett neben Lottas Monitoren, es gibt eine einzige Toilette für alle Eltern und eine Dusche, die eigentlich nur für die Schwestern bestimmt ist. Wer mag, kann die Brause benutzen, mit der sonst die Bettgestelle vor dem Desinfizieren mit heißem Wasser gereinigt werden.
    Ich stelle meine Tasche unter das Spülbecken, die Schwester schiebt einen Ständer für Infusionsbeutel herein, ein Beatmungsgerät. »Sie kommt gleich«, sagt sie. Harry springt von seinem Stuhl auf. Lottas Bett sehen wir schon von Weitem, an dem weißen Gitter baumelt ein rosa Filzstern, auf den ihr Name gestickt ist. Eine Spieluhr. In den nächsten Tagen ziehe ich ständig an der weißen Kordel und lasse das Geklimper über das Gepiepse und Gebrumme der Maschinen erklingen.
    Lotta nach den OPs: klein, nackt, einen Tubus zur Beatmung im Mund, daran eine Maschine, die ihr schnaufend die Atemzüge vorgibt. Zugänge im Hals und in der Hand, Blasenkatheter, die Augen geschwollen wie ein Welpe. Die Hüfte im Druckverband. Lebend. Sie sah niemals schöner aus.
    Meine Packliste für das Krankenhaus: Kekse und Salzstangen, denn häufig stehe ich zu spät vor den geschlossenen Türen der Cafeteria, T-Shirts, die Intensivstation ist warm wie ein Kinderzimmer im Winter, ein iPod, um das Piepsen und Summen zu übertönen und die Schreie der Kinder, die abends nach ihren Müttern rufen. Es gibt einige, die ohne Eltern hier liegen. Wo zu Hause noch vier andere Geschwister warten oder ein Job, bei dem man um acht Uhr morgens hinter der Kasse stehen muss. Auch ich kann nur hier sein, weil wir es uns leisten können. Weil Harry freibekommt und unsere Kinderfrau Jodi Überstunden macht. Wir haben Glück. Es gibt auch Kinder, bei denen die Schwestern flüsternd spekulieren, wie sie sich solche Verletzungen zugezogen haben. An den Betten ohne Eltern wechseln sie sich ab und lesen vor. »Schau mal, die Leah kriegt Besuch«, flüstert die eine der anderen zu. Sie schauen einer Frau hinterher, die einen Teddy den Gang runterträgt. »Wie schön!«
    »Und die sind freiwillig hier«, sage ich zu Harry. »Ich könnte das nicht. Immer diese Schreie.« Schwester Heidrun, Schwester Dagmar, Schwester Claudia – und wie sie alle heißen. Harry und ich verehren sie.
    »Wie können die so gut gelaunt sein in all dem Elend?«, frage ich ihn. »Und das bei diesen langen Schichten.«
    »Na, Engel sind das nicht!«
    Es liegt nahe, die Ärzte zu Göttern zu erklären und die Schwestern zu Engeln, es wäre so viel leichter, wenn sie übermenschliche Kräfte hätten. Es wäre so viel leichter, daran zu glauben, dass sie alles Elend heilen können und alle Kinder am Ende vorne zur Tür raushüpfen. »Muss das sein«, fährt mich eine Schwester an, als ich zum dritten Mal melde, dass der Sauerstoffsensor Alarm

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