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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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heile Gänschen, ist ja wieder gut ...«
    Ich bin genau wie die Ärzte. Ich bin schlimmer. Ich lasse die Diagnose auf Menschen los, die mir lieb sind. Es gibt keine gute Art zu sagen: »Es ist nicht nur eine Entwicklungsverzögerung. Deine Enkeltochter ist blind und wahrscheinlich schwer behindert.«
    Nichts wird wieder gut. Nichts ist heile. Wie ist das, niemals das Lachen des großen Bruders zu sehen, oder Prinzessin Lillifee?

    Der Großvater schaltet das Licht an. »Schau mal, da lacht sie!«
    »Ja, das nimmt sie wahr. Das findet sie lustig, weil Ben daraus ein Spiel gemacht hat.«
    Er schaltet wieder aus. »Da lächelt sie wieder. Das machst du toll, mein Schatz!«
    Schaltet wieder an. »Schau, mein Liebchen, Licht!«
    Er schaltet wieder aus. »Was für schöne Grübchen du hast.«
    An, aus, an, aus, an, aus. Großvater und Enkeltochter lächeln.
    »Ich kann das gar nicht glauben«, wird er später sagen. »Sie schaut doch so neugierig. Sind die Ärzte wirklich sicher?«

    »Sehen üben« wird Bens Lieblingsspiel. Er macht das Licht aus und fordert: »Taschenlampe!« Mit drei Jahren ist blind ein Wort wie blond oder braun, groß oder klein. »Das ist praktisch«, hat er gesagt. »Da braucht sie kein Tuch vor den Augen beim Blinde-Kuh-Spielen.«
    Er geht nun in den Kindergarten. Als wir beim Abholen um einen Kinderwagen stehen und den neugeborenen Bruder seines Freundes bewundern, fragt er in die Runde der Erwachsenen: »Ist der blind?«
    Draußen vor der Tür. »Ist blind ein schlimmes Wort? So wie doof?«
    Schuld an allem hat die Ader im Kopf, habe ich ihm erklärt. Wegen der Ader muss Lotta immer mal wieder ins Krankenhaus. »Die Ader kleiner machen«, hat er schon mit zwei Jahren der Bäckersfrau erklärt, die fragte, wo denn seine kleine Schwester sei. Wegen der Ader kann der Kopf den Beinen nicht sagen, wie krabbeln geht, und den Augen nicht, wie man sieht. Wegen der Ader dauert bei Lotta alles länger. Erst mit vier Jahren wird er mich fragen: »Als Baby – hatte ich da auch so eine Ader?« Mit fünf: »Wann ist Lotta denn nun nicht mehr blind? Wo sie doch so viel übt ...«
    Physiotherapie, Sehfrühförderung, Logopädie. In manchen Wochen hat Lotta an jedem Vormittag einen Termin, während Ben im Kindergarten ist. Ich informiere mich über Reittherapie, Klangschalentherapie, Osteopathie, Delphintherapie. So viel zu tun, so wenig Zeit. »Das Kind braucht Input, Input, Input«, sagt Brassel.
    Eine Kollegin erzählt am Telefon: »Weißt du, die Tochter einer Freundin einer Cousine, der haben die Ärzte auch keine Chance gegeben – und jetzt?« Sie spielt Fußball im Verein. Delphintherapie. »Die Eltern haben sich aber auch sehr dahintergeklemmt.«
    Ist es nur eine Frage meines Einsatzes, was Lotta einmal können wird?
    Ich blättere durch einen Katalog mit »Förderspielzeug für Kinder mit Beeinträchtigungen«. Feinmotorik fördern, Grobmotorik schulen, Hinhören üben. Es klingt vertraut. Im Schrank haben wir Brettspiele stehen, »mit Fex Effekt«. Zur Steigerung der exekutiven Funktionen. Emotionen, Impulse, Aufmerksamkeit steuern lernen. Kinderspiele, entwickelt mit der Hilfe von Neurologen. Für Ben.
    Warum preisen Spielzeughersteller ihre Produkte wie Förderspielzeug für Behinderte an? Und warum kaufen wir sie? Habe ich mehr als nur ein Kind, das Sonderförderung braucht?

    Es ist zu spät, um auszuweichen. Melanie sieht mich von Weitem kommen und winkt. Im Stadtwald, spazieren gehen. »Was für ein Zufall!« Küsschen rechts, Küsschen links. »Was haben wir uns lange nicht gesehen!«
    »Weißt du, im Moment haben wir mit Lotta so viele Termine ...«
    Melanie nickt.
    Es ist eine Ausrede. Wir machen keine Kurse mehr mit Melanie, Luca und Noah. Ich schließe uns zu Hause ein, nur wir drei. Manchmal lasse ich sogar Jodi Ben vom Kindergarten abholen, nur weil ich die anderen Geschwisterkinder nicht sehen will. Ich Feigling.
    Noah schläft in seinem Wagen, genau wie Lotta. Ob er schon krabbeln kann? Lucas erste Schritte habe ich nicht gesehen und war doch live dabei. »Luca läuft! Luca läuft! Luca läuft!« Per SMS. Vielleicht nimmt Melanie Lottas Entwicklungsverzögerung doch ernster, als ich dachte. Über Noahs Fortschritte habe ich noch keine SMS-Nachrichten erhalten. »Ehrlich gesagt ...«, schiebe ich hinterher. »Im Moment kann ich kleine Kinder nicht so gut vertragen.«
    »Das kann ich so gut verstehen!« Sie legt den Arm um meine Schultern und drückt zu. »Ich weiß noch, wie schlimm das

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