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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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weiter steht eine Frau, die immer wieder zu Leon schaut. Hinschauen, wegschauen, hinschauen, wegschauen. Als wäre er die Ampel, die gleich grün wird. Nina wendet sich an sie: »Entschuldigung? Entschuldigung!«
    Sie schaut hoch zu Nina. »Ja?«
    »Ist das Ihr Erstes?«
    »Wie bitte?«
    »Ist das das erste behinderte Kind, das Sie sehen ...?«
    Es wird grün. Lachend laufen wir rüber.
    Es ist, als verfolge uns ein Scheinwerferkegel. In der Apotheke, im Supermarkt, in der Straßenbahn. Wir stehen auf einer Bühne, ob wir wollen oder nicht. Und nirgendwo Vorhänge, um sie zuzuziehen. Vielleicht muss man das positiv sehen. »Showtime, Baby«, flüstere ich Lotta zu, wenn wir ein Restaurant betreten. Gerade noch im Krankenhaus, jetzt schon auf unserer Showbühne. Wenn sie schon gucken, dann sollten wir liefern. Langsam kann ich verstehen, warum manche Rollstuhlfahrer ihr Gefährt mit Lichterketten schmücken.
    »Es gibt Tage, da schaffe ich das einfach nicht«, sagt Nina.
    »Und dann?«
    »Dann bleib ich zu Hause.«
    Die Tür verschließen. Sich verstecken. Sich verkriechen. Wenn es so einfach wäre. Ich muss Ben vom Kindergarten abholen. Er will auf den Spielplatz, in die Eisdiele. Ich kann ihn nicht ewig einsperren und ich will es auch nicht. Wird er irgendwann merken, dass die Leute anders schauen, wenn er mit Lotta zusammen unterwegs ist? Wird er nicht immer im Scheinwerferlicht stehen wollen?
    Je älter Lotta wird, desto leichter wird es, das Rätsel zu lösen. Irgendwann ist auf den ersten Blick alles klar. Menschen beginnen, über sie hinwegzuschauen. Ihre Augen gleiten über mein schönes kleines Mädchen, als gäbe es sie gar nicht. Als Lotta zwei wird, ist sie für viele bereits unsichtbar.
    Das würde mir vielleicht nicht auffallen, wenn ich nicht wüsste, wie es sonst ist. Kleine Kinder sind wie kleine Hunde, es gibt immer Menschen, die sie streicheln müssen. Als Ben noch im Kinderwagen saß, hielt er an jeder roten Ampel Hof. »Du bist ja ein Süßer!«, »Na, das machst du aber toll!«, »Wie alt bist du denn?« Bei Lotta macht das kaum jemand. Es wäre so einfach: in den Kinderwagen lächeln, sich runterbeugen, sagen: »Du hast aber eine schöne Mütze.« Was soll schon passieren? Mein Kind beißt nicht. Nina hat Leon zwei T-Shirts bedrucken lassen. Auf dem einen steht vorne drauf: »Nicht ansteckend«. Auf dem anderen: »Wunschkind«.
    Im Scheinwerferlicht oder unsichtbar. Nur Normalität scheint schwer.

    »Nun übertreib nicht«, sagt Harry am Abend. »Und sei mal ehrlich: Was hättest du gemacht?«
    Ich hätte wohl auch weggeschaut. Ich habe weggeschaut. Ich wollte nichts falsch machen und habe es genau deswegen doch getan. Ich habe vielleicht nie gestarrt, aber ich habe andere unsichtbar gemacht.
    »Wie sollen sie denn reagieren?«, fragt mich Clara. »Starren ist falsch, wegschauen auch. Was wäre denn richtig?«
    »Natürlichkeit.«
    »So tun, als ob nichts wäre?«
    »Nein, das meine ich nicht.«
    Bei Frau Kniep merke ich den Unterschied am deutlichsten. Bei ihr ist Lotta nicht in erster Linie ein behindertes Kind. Lotta ist Lotta. Ein Schmoller, ein Schlawiner, Lotta Wundertüte. Sie ist blond, zickig, süß, zäh, zu dünn, behindert. Ihre Behinderung ist eine Eigenschaft unter vielen.
    »Das Kind hinter der Behinderung erkennen«, sage ich. »Nicht auf den schiefen Hals schauen, sondern in die Augen. Das will ich. Nicht über sie reden, als wäre sie ein Gegenstand, sondern mit ihr.« Man kann auch mit jemandem, der im Rollstuhl sitzt, auf Augenhöhe sein. Man darf auch einem behinderten Mädchen sagen: Na, du bist ja eine Süße. Warum auch nicht?
    »Sie sollen es annehmen.«
    »Genau.«

    In der Eisdiele angekommen, Ben schält sich aus seiner Jacke und schmeißt sie auf den Boden, ich sage: »Ben«. Der Eisverkäufer schaut mich kurz an, so ernst habe ich ihn noch nie gesehen. Dann beugt er sich zu Lotta in den Wagen. Er lächelt, berührt ihre Hand und sagt: »Du hast ja einen schicken neuen Wagen.«
    So schnell kann annehmen gehen.
    Eine Freundin, die sagt: »Lotta-Kind, du kannst ja sitzen!«
    Der Großvater: »Was für ein großes Mädchen du bist.«
    Die Nachbarin, die Lotta zum ersten Mal im Reha-Buggy sitzen sieht und sagt: »Jetzt sieht man endlich, wie hübsch du bist.«
    Lotta teilt unsere Welt, in die, die damit klarkommen, und die, die raus sind. Es sind viele, die damit klarkommen. Wir sind nicht allein. Wir bilden eine Wagenburg. Der Druck von außen hat auch sein Gutes. Er

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