Lotterie der Liebe
Sie, wo die Ziehung der Lotterie stattfindet? Ich bin sicher, dass er dort hingeht. Ich könnte mich dort mit ihm treffen.” Sie errötete. Die Miene des Kammerdieners zeigte zwar keinerlei Regung, aber Amy war überzeugt, dass er überrascht war. Schließlich war sie nicht dafür bekannt, dass sie an irgendeiner Art von Glücksspiel teilnahm.
“Soweit ich weiß, im Rathaus, Madam”, antwortete Marten ruhig, ganz so, als habe sie sich nach dem Wetter erkundigt. “Möchten Sie, dass ich Ihrem Bruder eine Nachricht überbringe?”
“Ja. Vielleicht …” Amy hielt inne. Es wäre weitaus einfacher, den Kammerdiener zu der Lotterie zu schicken. Aber es war ein schöner Tag, und sie sehnte sich nach einem Spaziergang. Ehrlich gesagt, wünschte sie sich auch ein wenig Aufregung. Die schlechte Laune vom vergangenen Abend war noch nicht ganz verflogen, und eine Lotterieziehung war gewiss ein interessantes Spektakel.
“Nein, schon gut!”, fuhr sie fort und fühlte sich nach dieser jäh getroffenen Entscheidung ziemlich wagemutig. “Ich selbst werde hingehen. Ich muss in Holborn einen Brief abgeben, und das Wetter eignet sich für einen Gang durch die frische Luft.”
“Wie Sie wünschen, Madam”, murmelte der Kammerdiener. “Bitte zögern Sie nicht, mich zu rufen, falls ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann.”
Er entfernte sich leise und machte die Tür zum Dienstbotenquartier hinter sich zu. Ehe sie anderen Sinnes werden konnte, rannte Amy die Treppe hinauf, legte die Schürze ab, setzte einen alten Hut auf und zog eine Pelisse an. Sie war noch damit beschäftigt, die Hutbänder unter dem Kinn zu verknüpfen, während sie schon die Treppe hinunterlief und das Haus verließ. Ihr Vorhaben war entschieden aufregender als Silberputzen oder die Abstimmung des Speiseplans mit der Köchin. Da es bis zum Rathaus ziemlich weit war, galt es, sich zu sputen. Es wäre zu ärgerlich, wenn sie zu spät einträfe und die Ziehung der Gewinne verpasste.
Amy hatte nicht mit einer so großen Menschenmenge gerechnet. Als sie im Rathaus ankam, war das Gedränge in dem Gebäude so groß, dass sie kaum vorwärts kam.
Ihr wurde bald klar, dass die Wahrscheinlichkeit, den Bruder in diesem Getümmel zu finden, sehr gering war. Sie hatte den Lockreiz einer Lotterie vollkommen unterschätzt.
Am Ende der Halle befand sich ein Podest, auf dem ein paar Männer eine komplizierte Maschinerie aufbauten, vermutlich die Lostrommel. Die Atmosphäre war prickelnd, berauschend wie Wein. In ihrem Leben geschah selten etwas Ungewöhnliches, doch nun hielt Amy das Lotterielos fest in der Hand und hatte das Gefühl, alles Mögliche könne geschehen.
Von links wurde sie von einer dicken Frau, die einen großen Einkaufskorb bei sich hatte, an eine Säule gedrückt. Andere Leute schoben sie vorwärts, und ein massiger Mann mit rotem Gesicht, der eine zu eng sitzende schimmernde Weste trug, wurde von rechts gegen sie gedrängt. Sie konnte kaum über die Köpfe der vor ihr stehenden Menschen sehen. Nachdem sie mehrmals vergeblich darum gebeten hatte, durchgelassen zu werden, Bitten, die wahrscheinlich von niemandem gehört worden waren, wurde ihr klar, dass sie wohl bis zum Ende der Veranstaltung eingeklemmt sein würde. Richard hätte nur zwanzig Schritte entfernt von ihr stehen können, doch für sie gab es keine Möglichkeit herauszufinden, ob er sich überhaupt hier befand. Sie fing an, ihre unüberlegte Handlungsweise zu bereuen.
Sie blickte sich um und bemerkte plötzlich in der Menge eine ihr vertraute Gestalt. Ihr stockte das Herz. Der Earl of Tallant stand links von ihr, lehnte lässig an der Wand und war mit einem hoch gewachsenen Herrn, in dem sie den Duke of Fleet erkannte, in ein Gespräch vertieft. Sie versuchte, sich hinter dem breiten Rücken des Mannes mit der glänzenden Weste klein zu machen, da sie nicht wollte, dass die beiden Gentlemen sie ausgerechnet bei einer Lotterieziehung sahen. Sie konnte kaum glauben, dass die Ankündigung des Earl sich so schnell bewahrheitet hatte. Sie hatte Seine Lordschaft meiden wollen, doch nun war er da. Das Schicksal hatte ihr einen boshaften Streich gespielt.
Irgendetwas erregte die Aufmerksamkeit des Earl of Tallant, und er schaute in ihre Richtung. Spöttisch hob er eine Augenbraue. Amy errötete. Es war leicht zu erraten, was er dachte. Sie erinnerte sich ihrer Äußerungen bei der letzten Begegnung mit ihm. Sie hatte gesagt, sie verabscheue die Spielsucht. Nachdem er sie jetzt gesehen
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