Lotterie der Liebe
miteinander. Amy sah einen Mann sein Los auf den Fußboden werfen und wütend darauf herumtrampeln.
“Steck das Los ins Ridikül”, flüsterte Amanda ihr ins Ohr. “Und lass dir nichts anmerken. Das wäre höchst gefährlich.”
Amy kam sich wie in einem Traum vor. Sie gehorchte, ließ sich willig von Amanda am Arm nehmen und zum Ausgang drängen. Immer wieder vernahm sie in Gedanken die Worte “dreißigtausend Pfund”. Die Menschenmenge trieb sie voran. Um sie herrschte ein schrecklicher Lärm. Ihr schwirrte der Kopf, und sie befürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Höchst erleichtert gelangte sie an die frische Luft und ließ sich von Amanda die Treppe hinabführen, vorbei an kleinen Gruppen von Leuten, die alle über die Ziehung redeten und sich wunderten, wer der Gewinner sein mochte.
“Warum nicht ich?”, hörte sie eine Frau, die einen schmutzigen Säugling an die Brust drückte, bedauernd zu einer anderen sagen. “Da Jack fort ist, brauche ich Essen für Emily.”
Amy zuckte heftig zusammen. Amanda neigte sich zu ihr und raunte ihr ins Ohr: “Hör nicht hin, Amy. So, wie ich dich kenne, würdest du dein Los und noch dein letztes Hemd opfern. Alle Welt braucht Geld. Und so, wie du aussiehst, brauchst du selber auch welches.”
Plötzlich erinnerte sich Amy, warum sie nichts von dem Geld weggeben konnte, selbst wenn sie das gewollt hätte. Das Los gehörte Richard, und damit auch der Gewinn. Die dreißigtausend Pfund waren sein Gewinn, und sie würde es ihm sagen müssen, sobald sie ihn sah. Einerseits war sie erleichtert, dass die Entscheidung ihr aus der Hand genommen war, und andererseits verstimmt, weil ihr klar war, dass ihr Bruder das Vermögen verschleudern würde. Wenn das Geld doch nur ihr gehörte! Mit den dreißigtausend Pfund hätte sie so viel anfangen können. Aber sie würde keinen Penny davon zu Gesicht bekommen. Einen Moment lang krampfte sie die Hand um das Ridikül mit dem kostbaren Inhalt und lockerte dann den Griff. Das Leben war ungerecht. Aber daran ließ sich nichts ändern. Sie würde das Geld nicht für sich ausgeben, und ganz gewiss konnte sie es nicht dafür verwenden, Gutes zu tun. Das Beste war, diese Gedanken sofort fallen zu lassen, ehe die Versuchung zu groß wurde.
“Komm, Amy”, flüsterte Amanda eindringlich. “Wir müssen dich sicher nach Hause bringen. Es wäre nicht gut, wenn jemand merkt, dass du das Gewinnlos hast. Du könntest entführt werden, ehe du noch einen Schritt getan hast.”
Amy zog Amanda in den Schutz des Vorbaus. “Ich bin nicht ganz sicher, was ich machen soll”, murmelte sie. “Muss ich nicht hingehen und den Gewinn beanspruchen?”
“Nein, nein.” Amanda warf ihr einen belustigten Blick zu. “Ich habe vergessen, dass du gesagt hast, du hättest noch nie bei einer Lotterie mitgespielt. War das wirklich zum ersten Mal?”
“Ja, natürlich”, antwortete Amy. Sie war verwirrt. Zweifellos würde sie gleich in ihrem Bett aufwachen. “Weißt du, Amanda, das Los gehört mir nicht.”
4. KAPITEL
A manda hörte nicht richtig auf das, was Amy sagte. Sie war zu aufgeregt. “Und dann gleich den Hauptgewinn! Um das Geld zu erhalten, musst du in eine der Losverkaufsstellen gehen. Dort wird man dir den Gewinn auszahlen. Noch besser wäre es, du würdest deinen Vermögensverwalter hinschicken. Wahrscheinlich würdest du eine ganze Armee brauchen, die dich vor Räubern schützt, wenn du persönlich hingehst. Wo steht deine Kutsche? Wir müssen dich sicher nach Hause bringen, ehe jemand mitbekommt, wer du bist.”
Amy fröstelte und drückte das Ridikül fest an sich. “Sag mir, Amanda, dass du scherzt. Ich habe keine Kutsche. Ich bin zu Fuß hergekommen.”
Amanda blieb stehen und schaute die Freundin an. Der belustigte Ausdruck in ihren Augen wurde besorgt. “Keine Kutsche? Was sollen wir dann jetzt machen?”
“Ich hatte gehofft, Richard hier anzutreffen, und dachte, er würde mich heimbringen”, antwortete Amy ausweichend, weil das jetzt kaum der richtige Zeitpunkt war, um der Freundin zu erklären, dass sie nicht die Mittel für den Unterhalt eines Pferdegespanns hatte. Verzweifelt schaute sie sich um, sah in der Menschenmenge jedoch kein vertrautes Gesicht. Die Leute zerstreuten sich und zerrissen dabei ihre Lose. Die Fetzen flatterten auf die Straße.
“Wir sollten eine Droschke nehmen”, sagte Amanda stirnrunzelnd. “Sonst könnte es passieren, dass du in eine Gasse gezerrt und ins Jenseits befördert wirst, ehe du noch das
Weitere Kostenlose Bücher