Lotterie der Liebe
der harmloseste Mensch ist, den man sich vorstellen kann, und Sie in seiner Gesellschaft sicher sein werden. Ich werde meine Kutsche herbringen lassen.”
Es schien kaum eine andere Wahl zu geben, und Amy war froh, Begleitung zu haben. Bei dem Gedanken, mit einem dreißigtausend Pfund werten Los allein durch London laufen zu müssen, gefror ihr das Blut in den Adern, und selbst wenn es sich nicht um ihr Geld, sondern um das des Bruders handelte, war sie dafür verantwortlich, das Los sicher nach Hause zu bringen. Sie überlegte bereits, wie sie Richard überzeugen könne, sich zu Gunsten der Familie von einem Teil des Gewinns zu trennen, ehe er den Rest verspielte. Er war großzügig. Sie war sicher, dass er sich dazu überreden ließe, ihr eintausend Pfund zu geben, damit das häusliche Leben etwas bequemer wurde und sie sich vielleicht zwei oder drei neue Kleider für den Herbst kaufen konnte.
Sie warf dem Earl of Tallant einen Blick zu, als er ihr in den Phaeton half, lehnte sich in die Polster und genoss das seltene Vergnügen, kutschiert zu werden. Der Earl war ein guter Fahrer, der sein Gespann mühelos lenkte. Man verließ den Platz vor dem Rathaus und bahnte sich einen Weg durch die vollen Straßen. Amy war beeindruckt, wie geschickt der Earl die Pferde kontrollierte.
“Ich war überrascht, Sie bei der Ziehung der Lotterie zu sehen, Miss Bainbridge”, sagte er. “Nach unserem gestrigen Gespräch war ich der festen Überzeugung, dass Sie etwas gegen Glücksspiele haben.”
Amy schaute ihn an. Er lächelte sie, wie es schien, ganz vorbehaltlos an. Sie erwiderte sein Lächeln. Sie mochte ihn zwar nicht und hatte auch kein Vertrauen zu ihm, doch das tat jetzt nichts zur Sache. Er erwies ihr einen Gefallen, und daher konnte sie zumindest höflich zu ihm sein.
“Es stimmt, ich habe im Allgemeinen etwas gegen Glücksspiele, glaubte jedoch, meinen Bruder bei der Ziehung zu treffen. Aber offenbar liegt ein Missverständnis vor. Er hatte sein Los zu Hause gelassen. Ich wollte es ihm bringen. Sonst wäre ich nicht ins Rathaus gegangen.”
“Ich verstehe. Wie fanden Sie es?”
“Die Ziehung?” Amy runzelte die Stirn. “Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so viele Leute da sein würden. Aber ich begreife, welchen Anreiz so etwas bietet. Der Gewinn von dreißigtausend Pfund würde das Leben der meisten Menschen von Grund auf verändern. Das ist ein verlockender Gedanke.”
“Aber auch ein gefährlicher.”
“Oh ja! Er kann süchtig machen und sehr teuer werden. Wenn man nicht das Geld hat, um diese Besessenheit zu finanzieren, sich aber dennoch in der Hoffnung auf einen Gewinn dauernd Lose kauft …”
“Könnte man sich ruinieren und auf der Straße landen”, warf Jonathan ein.
Amy wandte das Gesicht ab. “Das kann bei jeder Form des Glücksspiels der Fall sein.”
Der Earl of Tallant zog eine Hand von den Zügeln fort und legte sie kurz auf Miss Bainbridges Finger. Die Berührung war so leicht, dass Amy sich fragte, ob sie sie sich nur eingebildet habe.
“Verzeihen Sie, Miss Bainbridge. Wie ich merke, ist das ein für Sie schmerzliches Thema. Ich hätte es nicht anschneiden dürfen.”
Sie schaute ihn an. Ihre Blicke trafen sich, und dann schüttelte sie langsam den Kopf.
“Sie sind zu großzügig, Mylord, mich so leicht davonkommen zu lassen. Wenn ich einen festen Standpunkt vertrete, muss ich ihn auch verteidigen und darf mich nicht hinter Konventionen verstecken.”
Sie sah ein Lächeln in Lord Tallants Augen, das sie eigenartigerweise frösteln machte.
“Das ist sehr ehrlich von Ihnen, Miss Bainbridge. Ich bewundere das.”
Ein wenig verlegen zuckte sie mit den Schultern. “Ich weiß, dass ich manchmal wie eine Reformistin klinge. Als Erklärung kann ich nur angeben, dass ich die ruinösen Auswirkungen der Spielsucht aus erster Hand kenne und mir daher die Freiheit nehme, sie als ein höchst verderbliches Laster zu bezeichnen.”
“Das ist natürlich Ihr gutes Recht, Miss Bainbridge”, erwiderte Jonathan lächelnd. “Ich kann nur dagegenhalten, dass sie vielen Leuten eine Menge Vergnügen verschafft.”
“Meinen Bruder eingeschlossen. Ich glaube, wir haben uns gestern darüber unterhalten, Mylord. Ich halte es nicht für klug, dieses Thema fortzusetzen, da wir so eindeutig unterschiedliche Standpunkte vertreten.”
Jonathan neigte leicht den Kopf. “Wir werden nicht mehr darüber reden, wenn Ihnen das lieber ist, Miss Bainbridge. Ich gestehe jedoch, dass etwas mich
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