Lotterie der Liebe
irritiert. Seit unserem gestrigen Gespräch habe ich viel darüber nachgedacht. Wie kommt es, dass Ihr Bruder ein so leidenschaftlicher Spieler ist und Sie das genaue Gegenteil sind? Dieser Charakterunterschied bedarf einer Erklärung.”
Unwillkürlich lachte Amy. “Oh! Ich nehme an, es liegt an dem Vorbild, das unser Vater uns gegeben hat. Richard schlägt ihm nach. Man sagt, die Spielsucht sei erblich.”
“Sie folgen jedoch nicht dem Beispiel Ihres Vaters. In Ihrem Fall hat sein Laster zu einer grenzenlosen Abneigung gegen das Glücksspiel geführt.”
Amy bemerkte Lord Tallants belustigten Blick und errötete.
“Was haben Sie, Miss Bainbridge? Entspreche ich nicht vollkommen Ihrem Bild eines Taugenichts?”
“Oh!” Sie war peinlich berührt. Er hatte sie nicht nur dabei ertappt, dass sie ihn anstarrte, sondern vermochte auch noch sehr gut, ihre Gedanken zu erraten. “Ich bitte um Entschuldigung.”
“Das müssen Sie nicht. Ihre Ehrlichkeit ist mir lieber als gekünstelte Konversation, wie man sie meistens erlebt.” Jonathan lächelte. “Sagen Sie mir, Miss Bainbridge, haben Sie je gewagt, an einem Spiel teilzunehmen? Vielleicht hätten Sie festgestellt, dass es Ihnen Spaß macht.”
“Bei Ihnen klingt das sehr verlockend und wie der Gipfel der Dekadenz, Sir”, erwiderte sie. Als sie lächelte, erschienen Grübchen in ihren Wangen. Sie wehrte sich dagegen, versöhnlich gestimmt zu werden, und fand es überraschend schwierig. Der Charme des Earl war überwältigend, und sie war nicht so naiv, um nicht zu merken, dass er ihn ganz bewusst bei ihr ausspielte. Das Einzige, was noch geklärt werden musste, war, warum er das tat.
“Natürlich habe ich Karten gespielt, doch dabei ging es nie um Geld. Wie auch, da ich kein Vermögen habe …” Amy hielt inne, weil ihr das Los eingefallen war, das sie bei sich hatte. Dreißigtausend Pfund. Das war eine riesige Summe, und der Gedanke daran machte sie schwindlig.
“Nicht vorhandene Mittel scheinen für die meisten Spieler kein Hinderungsgrund zu sein”, bemerkte Jonathan. “Ihre Einsätze sind meist nur leere Versprechungen.”
“Besser hätten Sie Richard nicht beschreiben können”, meinte Amy etwas traurig. “Und genau das ist der Grund, weshalb ich nicht die Absicht habe, in diese Falle zu gehen. Zwei Spieler in unserer Familie wären zwei zu viel.”
Der Phaeton bog in die Aldwych ein. Die Pferdehufe klapperten auf dem Pflaster. Der leichte Wind hatte Amy die Wangen gerötet.
“Glauben Sie wirklich, dass die Spielsucht erblich ist?”, fragte Jonathan und schaute sie interessiert an. “Ist das der Grund, weshalb Sie nicht geneigt sind, einen Versuch zu unternehmen? Haben Sie Angst, den schlüpfrigen Boden zu betreten, weil Sie befürchten, sich zu ruinieren? Das ist ein pikanter Gedanke, Miss Bainbridge.”
Sie errötete aufs Neue. “Ich befürchte nicht, auf Abwege zu geraten, Mylord”, erwiderte sie und sah ihn an. “Die Spielleidenschaft als erblich zu betrachten, ist keine Entschuldigung für irgendetwas. Man erbt sie nicht wie ein Vermögen oder ein Stück Land. Sie ist nicht mehr als eine Schwäche, der die Leute nachgeben, die zu viel Zeit und nicht genügend Pflichten haben. Ich bitte um Entschuldigung, Mylord. Ich habe nicht die Absicht, so voreingenommen zu klingen, muss jedoch zu meiner Verteidigung sagen, dass Sie mich herausgefordert haben.”
“Ja, das habe ich”, murmelte Jonathan. Eine Sekunde lang hätte Amy schwören können, dass sie Bewunderung in seinen Augen sah. Das erschien ihr jedoch unwahrscheinlich, und nach einem Moment richtete er den Blick wieder auf die Straße. “Ich hatte keine Ahnung, Miss Bainbridge, dass das Ergebnis so stimulierend sein würde. Sie haben mehr Enthusiasmus, als Sie zeigen.”
Sie straffte sich und starrte entschlossen die vertraute Umgebung der Pall Mall an. Es war seltsam, aber es stimmte, dass ein Gespräch mit Seiner Lordschaft einen eigenartigen Reiz auf sie ausübte. Nie im Leben hätte sie sich vorgestellt, dass sie eine so interessante Diskussion mit einem Mann haben könne, mit dem sie kaum etwas gemein hatte. Und da lag der Hase im Pfeffer. Der Earl of Tallant verkehrte in Kreisen, die sich in allen Einzelheiten von ihren unterschieden. Sie gehörte nicht in seine Welt und hatte weder die finanziellen Mittel, um ein Teil von ihr zu sein, noch die Neigung dazu. Sie schätzte nicht einmal die Art und Weise, wie der Earl sich die Zeit vertrieb.
Amy seufzte. Man würde
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