Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
mitanhörte. Aber der Augenblick hatte genügt, sie heftig zu verwirren. Was hatte sie geglaubt –? Das Vaterland müßte gerettet werden –? Corrie May kehrte in ihr Zimmerchen zurück und machte sich wieder ans Strümpfestopfen. Bald darauf erschien Ann, zu sehen, wie weit sie wäre; denn Mrs. Maitland hatte ihre Stellung als Hausdame aufgegeben und war Krankenschwester geworden. Ann mußte sich also eingehender als früher um den Haushalt kümmern, wenn sie auch das meiste nach wie vor Bertha und Napoleon überließ. Corrie May war entschlossen, die Herrin von Ardeith um eine klare Auskunft zu bitten. Ann sagte:
»Wenn du fertig bist, kannst du diese Kinderkleider durchsehen. Ein Kind zerreißt doch schrecklich viel!«
»Ja, Madame, das tun sie alle«, sagte Corrie May. »Entschuldigen Sie bitte, Madame, ich wollte Sie gern etwas fragen – über den Krieg!«
Ann packte einen kleinen Berg von Kinderkleidern neben Corrie May auf einen Stuhl und sagte gelangweilt: »Nun? Was denn?«
»Wenn die Yankees den Krieg gewinnen – wollen sie dann die Neger in Freiheit setzen?«
»Ja, das ist eine von ihren verrückten Ideen. Diesen Strumpf kannst du wegwerfen, Corrie May. Es lohnt nicht mehr, ihn zu stopfen.«
Corrie May legte den Strumpf beiseite; sie würde ihn schon noch benutzen können. Sie fragte weiter: »Madame, würden die Yankees die Neger kaufen, um sie dann freizulassen; oder würden sie die Schwarzen einfach in Freiheit setzen, ohne Entschädigungen an die früheren Besitzer?«
»Keinen Cent würden sie bezahlen! Um halb zwei kannst du in der Küche Mittag essen. Wenn du mit den Kleidchen fertig bist, brauchst du nicht länger zu warten. Für heute habe ich weiter keine Aufträge!«
Corrie May gab keine Antwort. Als Ann aus dem Zimmer gerauscht war, ließ Corrie May ihre Nadel lange ruhen und blickte durchs Fenster auf die Felder hinaus, auf denen die Sklaven der Larnes die Baumwolle hackten.
Welchen Wert sie wohl haben mochten, die vielen Sklaven von Ardeith? Sie wußte nicht, wie viele Neger man auf der Plantage zählte; aber sechshundert mochten es wohl sein. Ein schwarzer Säugling schon war seine hundert Dollar wert. Ein erwachsener Feldarbeiter kostete fünfhundert bis tausend Dollar je nach seinem Alter und seiner Stärke. Eine erfahrene Köchin oder Schneiderin, eine Zofe oder ein Diener wurden auf zwei- bis fünftausend Dollar geschätzt – Corrie May stieß einen leisen Pfiff aus. Jetzt wunderte sie sich nicht mehr, daß Denis Larne ohne Aufenthalt in den Krieg gezogen war. Nein, sie wunderte sich nicht mehr, daß die reichen Leute von jedermann verlangten, gegen die Yankees zu kämpfen. Aber warum in aller Welt sollte ein Mann wie Budge Foster ins Feld rücken, um anderer Leute Schlachten zu schlagen?
Sie warf Nadel und Faden beiseite. Budge besaß nur einen einfachen Verstand. Er dachte nicht viel nach. Aber das eine hatte er doch begriffen: der Krieg, in den die anderen gezogen waren –, dieser Krieg war nicht der seine! Was für ein Dummkopf war sie doch gewesen! Vaterlandsliebe und die ›Schöne blaue Flagge‹ und die Militärmusik, die da ›Dixie‹ spielte von früh bis spät – – »Soll sie alle der Teufel holen!« murmelte Corrie May mit zusammengebissenen Zähnen. Sie merkte gar nicht, wie wild sie das Kleidchen des kleinen Denis in ihren Händen zerknüllte. Was hatte sie unter diesen Leuten noch zu suchen? Sie gehörte hier nicht her. Die Ideale der Larnes blieben ihr unverständlich. Sie beneidete sie um ihr großartiges Dasein voller Haltung und vornehmer Sitte; aber sie hegte keine Hoffnung mehr, es je zu teilen. Ihre Selbstsucht, ihre schmeichlerische Grausamkeit, ihr vollendetes Benehmen, ihre unnachahmliche Anmut – ach, sie waren der Meinung, all diese vorzüglichen Eigenschaften gäben ihnen das Recht, sich über ihre Mitmenschen zu erheben. In all der Großzügigkeit weiterzuleben, wie sie lebten, um sich jene zweifelhaften Eigenschaften ungeschmälert zu erhalten, das bildete das höchste Ziel ihres Lebens. Wenn sie mit lauten Stimmen verkündeten, daß das Vaterland verteidigt werden müßte, so dachten sie an ihren Besitz und an ihr Vorrecht, die anderen auszubeuten – welche Unverschämtheit! Was habe ich hier noch zu suchen, fragte sich Corrie May; sie gönnen mir nur den Abfall ihres Überflusses. Es ist ihnen unendlich gleichgültig, ob ich lebendig bin oder tot.
Budge Foster aber, der sie liebte und nicht ohne sie leben wollte, dem sie,
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