Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
anderen Schultern aufbürdest. Wäre ich eine hilflose, dumme Person, würdest du dich wohl oder übel um Ardeith kümmern müssen, anstatt dich darauf zu kaprizieren, die Demokratie in der Welt zu retten. Aber du weißt gut genug: Wenn ich eine Arbeit angefangen habe, verlasse ich sie nicht, bis sie beendet ist. Nur weil du das weißt, hast du die Möglichkeit, einem neuen Abenteuer nachzulaufen.« Sie endete mit einem verächtlichen Achselzucken.
»Mit meiner Geduld ist es unterschiedlich bestellt«, sagte Kester leise, »aber ich hoffe zu Gott, daß du nun aufhören wirst.«
»Ja, ich werde aufhören«, antwortete Eleanor, »geh nur und hole dir deine Lorbeeren!«
Kester maß sie mit einem kleinen bitteren Lächeln. »Du hast ein erstaunliches Talent, allen Dingen, die mich locken und an denen ich mich freue, den Glanz und die Farbe zu nehmen«, sagte er. »Das muß eine besondere Gabe sein.« Er ging zur Tür und stieß sie auf. »Sonne dich nur in deiner eigenen Vortrefflichkeit, ich wünsche dir viel Vergnügen dabei. Ich gehe derweilen zur Stadt, um mich eintragen zu lassen.«
Er ging grußlos hinaus. Eleanor setzte sich und ließ den Kopf in ihren aufgestützten Händen ruhen. Ihr war zumute, als läge die Last der kommenden Zeit schon auf ihren Schultern.
Aber schon nach wenigen Minuten begann sie zu bedauern, daß sie ihn erzürnt hatte. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu streiten. Kester war nun einmal nicht fähig, das ermüdende Einerlei täglicher Arbeit zu ertragen. Schalt man ihn deswegen aus, dann weckte man nur seinen Zorn, ohne ihn im geringsten zu ändern. Eleanor drehte seufzend die bekleckste Seite ihres Kontobuches um und nahm die unterbrochene Arbeit wieder auf. Ach, ich will ja, dachte sie, ich will ja gern die mir vom Schicksal zugedachte Rolle übernehmen und nüchtern und sachlich zu Ende führen, was er einmal unüberlegt und leichtfertig begann. Wenn Kester erst bei der Armee war, würde sie klug sein und ihren Mund in acht nehmen müssen, wie sich das für die Frau eines Helden gehörte.
Als er später zurückkam, sagte sie ihm, daß ihr Ausbruch von vorhin ihr leid tue. Kester, glücklich über seinen Entschluß, hatte den Auftritt längst vergessen. Es mache gar nichts, sagte er, jeder Mann müsse heute darauf gefaßt sein, daß seine Frau ihm eine Szene mache, wenn er beabsichtige, in die Armee einzutreten. Darauf setzte er sich und begann ihr zahllose Instruktionen über die Bewirtschaftung der Plantage während seiner Abwesenheit zu geben; er sprach dabei, als habe er es mit einem lieben und noblen, aber nicht sonderlich begabten Menschen zu tun.
Aber er war und blieb auch in so heiterer, gelöster Stimmung, daß sie während der letzten kurzen Tage bis zu seiner Abreise schöne und glückliche Stunden miteinander verbrachten. Als Eleanor ihn dann an den Zug begleitete, der ihn zum Ausbildungslager bringen sollte, gab sie sich selber zärtlich und stolz und hielt ihr Herz fest in der Hand.
Als er sie dann zum Abschied küßte, fühlte sie, wie es in ihr hochkam. Sie vermochte die Tränen nicht länger zurückzuhalten und klammerte sich an ihn, als wolle sie ihn um keinen Preis hergeben. Tatsächlich war es ihr bis zu diesem Augenblick nicht bewußt geworden, daß Kester in einen Krieg zog, in dem täglich zahllose Männer getötet wurden. Sie sah im Geiste die Zeitungsüberschriften vor sich: ›Zwanzigtausend Tote pro Tag‹, und ihr Herz krampfte sich in jähem Entsetzen zusammen. Als er sich dann endgültig aus ihren Armen riß, als andere Männer um sie herum waren, die sich gleicherweise von ihren weinenden Frauen losrissen, stand sie ganz still, befallen von einem Gefühl grenzenloser Verlassenheit, und heftig bemüht, die Tränen zu verbergen, die ihr über die Wangen tropften.
Der Zug ratterte aus der Halle, und Eleanor stolperte zum Auto zurück. Sie setzte sich hinter das Steuer, ließ den Kopf sinken und weinte still vor sich hin. Es dauerte lange, bis sie sich soweit beruhigt hatte, daß sie imstande war, das Auto nach Hause zu fahren.
Sie schloß sich in ihrem Zimmer ein und setzte sich mit zitternden Gliedern auf das Bett. Allerlei Begriffe schwirrten ihr durch den Kopf: ›Schießbaumwolle – Nitrozellulose – Cordite‹, die Worte wiederholten sich in endloser Folge, ähnlich wie an jenem Morgen, da sie sie zuerst gelesen hatte. Damals freilich hatten sie Hoffnung und Triumph bedeutet, heute ließen sie sie vor Angst und Schrecken erstarren.
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