Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
Kriegseinschränkungen von den Kindern fernzuhalten, aber sie selbst kam kaum noch zur Ruhe.
Kester schrieb überschwengliche Briefe. Das Vorbereitungslager hatte er als Erster Leutnant verlassen. Er war dann nach Camp Jackson in Columbia, Süd-Karolina, geschickt worden, wo er Rekruten drillen, marschieren und auf Strohpuppen schießen mußte, die deutsche Soldaten vorstellen sollten. Der Dienst machte ihm Freude. Manchmal, wenn sie seine Briefe las, konnte sie sich eines leicht spöttischen Gefühls nicht erwehren: Kester hatte es wieder einmal fertiggebracht, sich an einen Ort zu retten, wo die Unbequemlichkeiten des kalten Winters ihm nichts anhaben konnten.
»Dies ist das erstaunlichste Abenteuer meines Lebens!« schrieb er einmal. »Die Stadt sieht aus wie San Franzisco in den neunundvierziger Jahren, sie ist vollgestopft mit Menschen, und jedermann hier scheint in Fieberphantasien zu reden. –
Aber das ist kein Wunder. Vor dem Kriege war Columbia eine nette kleine Stadt von dreißigtausend Einwohnern. Es hatte zwei Wolkenkratzer: das Palmetto Building (sechzehn Stockwerke) und das National Loan und Exchange Building (Darlehens- und Wechselbank) mit zwölf Stockwerken, eine neue Oberschule, schattige Straßen mit weißen Häusern und ein vornehmes Staatskongreßgebäude, an dessen Fassade man noch einige Rauchflecke feststellen konnte, die aus dem Jahre 1865 stammten, als General Sherman die Stadt in Brand schießen ließ. Seit den Zeiten Shermans hatte Columbia eine friedliche Blütezeit, die anhielt, bis die Vereinigten Staaten in den Krieg mit Deutschland eintraten.
Nun hat die Regierung am Stadtrand das Camp Jackson errichtet. Hier steigen fortgesetzt Flugzeuge auf, und auf den Straßen marschieren endlose Kolonnen von Infanterie, Kavallerie und allerlei Kriegsmaschinen-Attrappen mit rosa und purpurnen Streifen. Fast im wörtlichen Sinn über Nacht ist die Bevölkerung der Stadt um hundertfünfzigtausend Soldaten und einen Schwarm von Frauen, Kindern, Krankenschwestern und allerlei freundlichen Mädchen angeschwollen. Logis sind so kostbar geworden, daß jeder, der ein freies Schlafzimmer hat, es für dreißig Dollar in der Woche vermieten kann. Viele der Offiziersfrauen sind reich. Und um sie mit allen möglichen Gütern beliefern zu können, sind zahllose kleine Läden entstanden, untergebracht in ganz primitiven, ungestrichenen Hütten. Hier werden Pelzmäntel und handgearbeitete Schuhe und Kleider aus den ersten Ateliers der Staaten ausgestellt. Nur an Nahrungsmitteln fehlt es sehr; vor den Kaufläden stehen Schlangen von Menschen. Wenn sie schließlich an der Reihe sind, bedient zu werden, müssen sie drinnen ihren Namen eintragen, um nur ein Pfund Zucker für neunzig Cents erwerben zu können.
Mit Geld wird umhergeworfen, als gelte es nichts. Laufjungen, die gewöhnt waren, drei Dollar in der Woche zu verdienen, bekommen jetzt zwanzig; Fahrstühle und Autogaragen werden von Mädchen bedient, die die Höhere Schule besucht haben und die heute mehr verdienen, als ihre Väter vor dem Kriege verdienten. Kohle kostet einen Dollar pro Eimer, und Negerfrauen verkaufen kleine Holzbündel auf der Straße, denn die Natur hat den allgemeinen Wirrwarr noch dadurch gesteigert, daß sie uns den kältesten Winter bescherte, den Süd-Karolina seit mehr als fünfzig Jahren erlebt hat. Eine Woche lang hat es ununterbrochen geschneit. Die Soldaten aus dem Norden fangen an, sich über den ›sonnigen Süden‹ lustig zu machen, und ich kann sie nicht tadeln, denn die Eiszapfen an den Dächern und Bäumen sind drei Fuß lang. Aber wir haben kein Recht, uns zu beschweren, denn trotz des Kohlenmangels haben wir ein schönes warmes Quartier. Wir haben Kohle genug, nur Zivilisten können keine bekommen. Kirchen und Schulen sind geschlossen worden, um die Kohle für uns zu sparen, und deshalb strömen die vor Kälte zitternden Bürger schon am Morgen aus den Häusern und bleiben bis zum Schlafengehen unterwegs, weil es in den Straßen wenigstens genug Aufregung gibt, die sie die Kälte vergessen läßt.
Seit keine Schule mehr abgehalten wird, sind die Kinder den ganzen Tag draußen. Sie gehen ins Kino. Die Theater sind nicht geheizt, aber die Bilder sind grell genug, um von der Kälte abzulenken. Die Filme haben fürchterliche Titel: ›Der Kaiser, das Raubtier von Berlin‹ – ›Die Auktion der Seelen‹ – ›Zur Hölle mit dem Kaiser!‹ und der Atem der Menschen in den Stuhlreihen erzeugt weiße Dampfwolken
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