Louisiana-Trilogie 3 - Am Ufer des Ruhmes
Engel keinerlei Heiratschancen besitzen. Doch ging sie gehorsam mit ihrem grauhaarigen Vater nach Hause, bestand ihr Debüt in der Gesellschaft, besuchte alle sich bietenden Geselligkeiten und widmete sich mit Hingabe dem besonderen Studium ihrer besonderen Berufung. Sie hatte keineswegs die Absicht, ihr Leben damit zuzubringen, in einer kleinen Stadt am Strom Tees zu geben und Babys zu liebkosen; die jungen Männer von Dalroy, denen sie immer wieder begegnete, schienen ihr deshalb keine geeigneten Objekte für ernsthafte Bemühungen. Immerhin waren sie aber ziemlich typische Vertreter der Männlichkeit, und was sich im Umgang mit ihnen lernen ließ, war sicherlich eines Tages vorteilhaft anwendbar, wenn sich der Horizont ihrer Möglichkeiten erst etwas weitete.
Sie war sich klar darüber, daß ihr Gesicht und ihre Figur unschätzbare Werte darstellten, aber sie wußte auch, daß das Aussehen allein nicht genügte; eines Tages würde es auch auf den Geist ankommen. Sie erinnerte sich, irgendwann einmal in einem ihrer Schulbücher gelesen zu haben, daß den Männern die Sprache gegeben sei, um die Gedanken zu verdecken. Sie wandelte die Replik dahin ab, daß der Frau die Klugheit gegeben sei, um ihren Verstand zu verbergen. Also, wenn ein Mädchen darauf ausging, einen Mann zu erobern, würde sie gut daran tun, ihn davon zu überzeugen, daß sie keinen Verstand besäße. Männer gaben sich nun einmal nicht gern mit zu klugen Frauen ab. Sie machte auch einige Male erfolgreich die Probe. Und da es ihr tatsächlich gelang, den Eindruck zu erwecken, sie sei geistig weit weniger begabt als einige der anderen jungen Schönheiten, mit denen sie konkurrieren mußte, so bewies sie allein dadurch einen ziemlich hohen Grad von Intelligenz. So flatterte und tanzte sie denn durch die ersten Wochen der gesellschaftlichen Saison wie ein entzückender, reizvoller und ein wenig hilfloser Schmetterling. Und alle Herzen flogen ihr zu.
Allmählich, mit der Zunahme ihrer Erkenntnisse, wandelte sie auch ihre Methoden. Sie entdeckte den Wert der Klugheit. Die glänzenderen und bedeutenderen Erscheinungen innerhalb der für sie entflammten Männerwelt nämlich schienen keineswegs nur an geistloser Schönheit interessiert. Und gerade die klügsten unter ihnen schienen auch kluge Frauen zu bevorzugen, mit der kleinen Einschränkung, daß ihr eigener Geist den der Frau um eine Kleinigkeit überragte; die Frau sollte noch eben zu ihnen aufsehen müssen. Erwies eine Frau sich nun als geistreich und klug und sah gleichwohl zu dem Auserkorenen auf, so mußte der sich durch ihre Bewunderung geschmeichelt fühlen. Und da Isabel bisher noch keinen Mann gefunden hatte, von dem sie ernsthaft überzeugt gewesen wäre, er sei klüger als sie, so hegte keiner ihrer Bewunderer bösen Verdacht.
Vor Weihnachten konnte Isabel den Triumph verbuchen, das beliebteste Mädchen der ganzen Stadt zu sein. Ihren Ruf hielt sie mit großem Bedacht makellos. Ausgeschlossen, daß sie auf die abwegige Idee verfallen wäre, einen Kuß zu gewähren, sich beim Walzer zu eng umarmen zu lassen oder am Abend ohne Anstandsdame auszubleiben. Von alledem geschah nichts. Sie war sich völlig klar darüber, daß ein hohes Ziel einen hohen Preis verlangte, eben weil es schwer zu erringen war.
Eisern, wenn auch nicht immer leichten Herzens, hatte sie sich zu dem Entschluß durchgerungen, keinen der zahllosen Bewerber aus ihrer bisherigen Umgebung zu erhören. Ihre Ziele waren höher gesteckt. Mehrere Verwandte ihrer Mutter wohnten in New York und hatten Isabel eingeladen, den nächsten Winter bei ihnen zu verbringen. Es handelte sich um sehr wohlhabende Leute, und Isabel war gewillt, die Einladungen anzunehmen, hoffte sie doch, dort auf eine ergiebigere Auswahl begehrenswerter Männlichkeit zu stoßen. Sie war nicht eben ungeduldig. Sie war noch jung und hatte mittlerweile genug gelernt, um überzeugt zu sein, daß sie noch sehr viel mehr zu lernen habe.
Und dann kam Kester Larne, der gerade in Tulane promoviert hatte, nach Hause zurück.
Im Zusammenhang mit ihren Zukunftsplänen hatte Kester Larne ihr nicht fünf Minuten lang Kopfzerbrechen gemacht. Sie, Kester sowie dessen Bruder und Schwester hatten als Kinder zusammen gespielt; das College hatte ihre Wege dann getrennt, und sie hatten sich einige Jahre lang nicht gesehen. Ardeith war eine heruntergewirtschaftete Plantage, von Schulden und Pächtern zugrunde gerichtet. Kesters Vater war ein extravaganter Narr und Kester selbst
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