Lourdes
Augenscheinlich war das gegen die Interessen der Stadt gehandelt. Wie man erzählte, unterhandelte der Pater Sempé auch heimlich mit dem Unternehmer. Und plötzlich triumphierte er: die Arbeiten wurden eingestellt.
Von da an trat der Todeskampf ein. Der Kurat Peyramale, der breitschulterige Sohn der Berge mit dem löwenartigen Gesicht, war ins Herz getroffen. Er wankte und stürzte wie eine vom Blitz zerschmetterte Eiche. Er legte sich zu Bett und stand nicht wieder auf. Man sagte, der Pater Sempé habe versucht, sich unter einem frommen Vorwand im Pfarrhof einzuführen, um zu sehen, ob sein gefürchteter Gegner auch wirklich zu Tode getroffen sei, und man fügte bei, man hätte ihn aus dem Schmerzenszimmer, in dem seine Anwesenheit ein Ärgernis war, verjagen müssen. Als dann der Kurat, besiegt und verbittert, gestorben war, konnte man den Pater Sempé beim Leichenbegängnis, von dem man ihn nicht auszuschließen wagte, triumphieren sehen. Es würde behauptet, er hätte dabei eine abscheuliche Freude zur Schau getragen. Endlich war er also des einzigen Mannes entledigt, der ein Hindernis für ihn bildete und dessen gesetzliches Ansehen er fürchtete. Jetzt würde er nicht mehr gezwungen sein, mit irgend jemand zu teilen, nachdem die zwei Arbeiter Unserer Lieben Frau von Lourdes unterdrückt und begraben waren, Bernadette im Kloster und der Abbé Peyramale in der Erde. Die Grotte gehörte ihm allein. Alle Almosen würden ihm allein zukommen, und er würde die achtmalhunderttausend Franken, über die er jedes Jahr verfügte, nach seinem Gutdünken verwenden. Nun würde er auch die Riesenbauten vollenden, er würde zum Glanz der neuen Stadt beitragen, um die alte Stadt noch mehr abzusondern und sie hinter ihren Felsen zu verbannen, wie eine niedrige Pfarrei, die im Glanz ihrer allmächtigen Nachbarin versinkt. Das war dann ein eigentliches Königtum: alles Geld und alle Herrschaft.
Trotzdem war die neue Pfarrkirche mehr als zur Hälfte und beinahe bis zu den Gewölben der unteren Seiten fertiggestellt. Und wenn man sich eines Tages in den Kopf setzen sollte, sie auszubauen, so konnte sie immerhin gefährlich werden. Man mußte auch sie töten und eine Ruine daraus machen, die nichts wieder herstellen konnte. Die heimliche Arbeit wurde also fortgesetzt und erwies sich als ein Wunder von Grausamkeit und langsamer Vernichtung. Zuerst wurde der neue Kurat, ein einfaches Geschöpf, so willfährig gemacht, daß er sogar die an die Pfarrei gerichteten Geldsendungen nicht mehr aufbrach. Alle eingeschriebenen Briefe wurden geradeswegs zu den Patres gebracht. Dann wurde der für die neue Kirche gewählte Bauplatz verurteilt. Man ließ durch den Bistumsarchitekten einen Bericht abfassen, in dem die alte Kirche als sehr dauerhaft und für die Bedürfnisse des Gottesdienstes ausreichend bezeichnet war. Hauptsächlich aber wirkte man auf den Bischof ein, indem man ihm die verdrießliche Seite der Geldschwierigkeiten mit dem Unternehmer vorstellte. Dieser Peyramale wurde als ein heftiger, eigensinniger Mensch, als eine Art Narr hingestellt, dessen Eifer die Religion in Gefahr verwickelt hatte. Und der Bischof vergaß, daß er den Grundstein geweiht hatte, schrieb einen Brief, um die Kirche mit dem Interdikt zu belegen, und verbot, in ihr irgendwelchen religiösen Dienst zu feiern. Das war der empfindlichste Schlag. Endlose Prozesse hatten sich angesponnen. Der Unternehmer, der nur zweimalhunderttausend Frank auf die ausgeführten Arbeiten im Betrag von fünfmalhunderttausend Frank erhalten hatte, klagte gegen den Erben des Kuraten, das Pfarreivermögen und die Stadt, da diese sich immer noch weigerte, die von ihr genehmigten hunderttausend Frank auszuzahlen. Zuerst erklärte der Rat der Präfektur sich in der Sache für unzuständig. Als sie ihm vom Staatsrat zurückgegeben worden war, verurteilte er die Stadt zur Zahlung der hunderttausend Frank und den Erben zum Ausbau der Kirche, indem er das Pfarreivermögen ganz aus dem Spiel ließ. Aber es wurde aufs neue Berufung an den Staatsrat eingelegt, der das Urteil aufhob. Und diesmal zog er die Rechtssache vor sein Forum und verurteilte das Pfarreivermögen, bei dessen Ausfall aber den Erben zur Bezahlung des Unternehmers. Weder der eine noch der andere waren zahlungsfähig. So blieb die Lage, wie sie war. Diese Prozesse hatten zwanzig Jahre gedauert. Da die Stadt ihre hunderttausend Frank gezahlt hatte, so schuldete man dem Unternehmer nur noch zweimalhunderttausend Frank. Aber
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