Love
Grillen zu hören.
Lisey sackt auf dem mit Trümmern übersäten Teppich zu sammen, schluchzt matt, ist völlig erledigt. Und hat sie es ir gendwie geschafft, ihn zurückzuholen? Hat sie es allein durch die Gewalt ihrer verzögerten wütenden Trauer geschafft, ihn wieder ins Leben zu rufen? Ist er wie Wasser durch eine lange leere Leitung gekommen? Die Antwort darauf lautet
»Nein«, murmelte Lisey. Denn Scott schien – so ver rückt das auch klang – die Stationen der Bool-Jagd lange vor seinem Tod für sie vorbereitet zu haben. Zum Beispiel in dem er mit Dr. Alberness gesprochen hatte, der zufällig ein schaurig rihiesiger Landon-Fan war. Indem er sich irgendwie Amandas Krankenakte beschafft und zum Lunch mitgebracht hatte. Und dann der Knüller: Mr. Landon hat gesagt, falls wir uns jemals begegnen, soll ich Sie fragen, wie er damals in Nashville die Krankenschwester gefoppt hat.
Und … wann hatte er Good Mas Zedernholzschatulle unter das Bremer Bett draußen in der Scheune gestellt? Denn das musste Scott gewesen sein; Lisey wusste ganz sicher, dass sie selbst es nicht getan hatte.
1996?
(pst)
Im Winter 1996, als Scott den Nervenzusammenbruch er litten hatte, und sie
( KEIN WORT MEHR DAVON LISEY! )
Schon gut … schon gut, sie würde kein Wort über den Win ter 1996 verlieren – zumindest vorläufig –, aber es konnte un gefähr hinkommen. Und …
Eine Bool-Jagd. Aber wozu? Zu welchem Zweck? Um sie in Etappen an etwas heranzuführen, was sie nicht auf einmal verkraftet hätte? Vielleicht. Wahrscheinlich . Scott hatte sich auf solche Dinge verstanden; er hätte bestimmt Mitgefühl für das Bedürfnis empfunden, die schrecklichsten Erinnerungen hinter purpurroten Vorhängen zu verbergen oder in zart duf tenden Schatullen wegzusperren.
Ein gutes Bool.
O Scott, was ist daran gut? Was ist gut an all diesem Kum mer, all diesem Schmerz?
Ein kurzes Bool.
Wenn dem so war, enthielt die Schatulle entweder das Ende oder eine der letzten Stationen davor, und sie hatte so eine Ahnung, dass es kein Zurück mehr geben würde, wenn sie noch lange weitermachte.
Baby, seufzte sie … allerdings nur in Gedanken. Es gab kei ne Geister. Nur Erinnerungen. Nur die Stimme ihres toten Mannes. Daran glaubte sie; sie wusste es. Sie konnte die Schatulle zuklappen. Sie konnte die Vorhänge schließen. Sie konnte die Vergangenheit ruhen lassen.
Babylove.
Immer musste er das letzte Wort haben. Selbst als Toter musste er das letzte Wort haben.
Sie seufzte – in ihren eigenen Ohren ein unglücklicher, ein samer Laut – und beschloss weiterzumachen. Doch Pandora zu spielen.
5 Das einzige weitere Andenken an ihren billigen, nicht religiösen Hochzeitstag (trotzdem hatte ihre Ehe gut gehalten, sogar sehr gut), das sie in diese Schatulle verbannt hatte, war ein Foto, das auf der Hochzeitsfeier in The Rock – der lautes ten, miesesten, vulgärsten und schmutzigsten Rock-'n'-Roll-Bar von Cleaves Mills – gemacht worden war. Es zeigte Scott und sie auf der Tanzfläche zu Beginn des Brauttanzes. Sie trug ihr weißes Spitzenkleid, Scott einen schlichten schwar zen Anzug – meinen Leichenbestatteranzug, so hatte er ihn genannt –, den er sich eigens zu diesem Anlass gekauft hatte (und in diesem Winter auf der Lesereise mit Empty Devils un ablässig getragen hatte). Im Hintergrund konnte sie Jodotha und Amanda sehen: beide unwahrscheinlich jung und hübsch, die Haare hochgesteckt, die Hände zum Klatschen erhoben.
Sie sah zu Scott auf, und er lächelte auf sie herab, seine Hände umfassten ihre Taille, und o Gott, wie lang seine Haa re gewesen waren, fast schulterlang, das hatte sie ganz ver gessen.
Lisey fuhr mit den Fingerspitzen über das Hochglanzfoto, ließ sie über die Menschen gleiten, die sie in SCOTT UND LISEY! DIE FRÜHEN JAHRE! gewesen waren, und stellte fest, dass sie sich sogar an den Namen der Band aus Boston (The Swinging Johnsons, ziemlich witzig) und den Song erinnern konnte, zu dem sie vor ihren Freunden getanzt hatten: eine Coverversion von »Too Late To Turn Back Now« von Cornelius Brothers und Sister Rose.
»O Scott«, sagte sie. Eine weitere Träne kullerte ihr über die Wange, und Lisey wischte sie geistesabwesend ab. Dann legte sie das Foto auf den sonnenbeschienenen Küchentisch und grub tiefer. Nun folgten eine dünne Lage aus Speisekarten, Barservietten und Zündholzbriefchen aus Motels im Mittleren Westen und ein Programm der Indiana University in Bloo mington, in dem eine Lesung aus Empty Devils
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