Love
Boden gesackt. Einen Augenblick lang war sie sich fast sicher, dass sie sich in die Hose machen würde, aber dann konnte sie es doch verhindern. Zumindest vorläufig.
»Nehmen Sie, was Sie wollen«, flüsterte sie mit Lippen, die sich so taub anfühlten wie nach einer Novocainspritze. »Sie können alles haben.«
»Kommen Sie mit rauf, Missus«, sagte er. »Wir reden oben darüber.«
Die Vorstellung, mit diesem Mann in Scotts Büro zu sein, erfüllte sie mit Abscheu und Entsetzen. »Nein. Nehmen Sie einfach seine Sachen und gehen Sie. Lassen Sie mich in Frie den.«
Er starrte sie geduldig an. Auf den ersten Blick schien er Mitte dreißig zu sein. Dann sah man die kleinen Fältchen fächer an den Augen- und Mundwinkeln und erkannte, dass er eher vierzig war, mindestens. »Los, rauf mit Ihnen, Missus, außer Sie wollen gleich zu Anfang 'ne Kugel in den Fuß. Das wär 'ne schmerzhafte Art, über diese Angeleh'nheit zu reden. Im menschlichen Fuß gibt's viele Bänder und Kno chen.«
»Das tun … das wagen Sie nicht … der Krach …« Ihre Stim me schien sich mit jedem Wort weiter zu entfernen. Es war, als wäre ihre Stimme in einem Zug, der gerade aus dem Bahn hof fuhr; ihre Stimme lehnte sich aus dem Fenster, um sich liebevoll von ihr zu verabschieden: Bye-bye, kleine Lisey, Stimme muss dich jetzt verlassen, bald wirst du stumm sein.
»Oh, der Krach würd mich überhaupt nicht störn«, sagte Dooley und wirkte amüsiert. »Ihre Nachbarn sind weg – in die Arbeit gefahren, schätz ich –, und Ihr Lieblingscop ist zu 'nem Einsatz unterwegs.« Sein Lächeln verblasste, aber er schaffte es trotzdem, weiter belustigt zu wirken. »He, Sie sind ja ganz grau geworden. Schätze, Sie haben 'nen richtigen Schock erlitten. Schätze, Sie werden glatt umkippen, Missus. Mir damit vielleicht etwas Arbeit abnehmen.«
»Nennen Sie … nennen Sie mich nicht immer …« Missus hatte sie sagen wollen, aber eine Reihe von Schwingen schien sie einzuhüllen, Schwingen in dunkler und dunkler werden dem Grau. Bevor sie zu dunkel und dicht wurden, um noch durchsichtig zu sein, nahm sie undeutlich wahr, dass Dooley die Pistole in seinen Hosenbund steckte (Schieß dir die Eier weg, dachte Lisey verträumt, tu der Welt einen Gefallen) und auf sie zustürzte, um sie aufzufangen. Ob er das schaffte, wuss te sie nicht. Bevor die Frage entschieden war, verlor Lisey das Bewusstsein.
4 Sie spürte etwas Feuchtes, das ihr übers Gesicht fuhr, und dachte erst, ein Hund würde sie abschlecken – vielleicht Louise. Aber Lou war ihr Collie daheim in Lisbon Falls ge wesen, und Lisbon Falls lag in weiter Vergangenheit. Scott und sie hatten nie einen Hund gehabt, vielleicht weil sie nie Kinder gehabt hatten, denn Kinder und Hunde schienen auf natürliche Weise zusammenzugehören wie Erdnussbutter und Gelee oder Pfirsiche und Sah…
Kommen Sie mit rauf, Missus … außer Sie wollen gleich zu Anfang 'ne Kugel in den Fuß.
Das brachte sie rasch wieder zu sich. Sie öffnete die Augen und sah Dooley, wie er mit einem feuchten Geschirrtuch in einer Hand neben ihr hockte und sie beobachtete: mit diesen leuchtend blauen Augen. Sie versuchte, von ihnen abzurücken. Erst war ein metallisches Rasseln zu hören, dann spürte sie einen dumpfen Schmerz in der Schulter, als etwas sich straffte und sie gewaltsam zurückhielt. »Au!«
»Zerren Sie nicht daran, dann tun Sie sich auch nicht weh«, sagte Dooley, als wäre das die vernünftigste Sache der Welt. Was sie für einen Irren wie ihn wohl auch war, vermutete Lisey.
Scotts Stereoanlage spielte erstmals seit Gott weiß wie lan ger Zeit, vielleicht seit April oder Mai 2004, als er zuletzt hier gewesen war, hier geschrieben hatte, wieder Musik. »Way more's Blues.« Nicht Ole Hank, sondern eine Band – vielleicht die Crickets. Nicht superlaut, längst nicht so laut, wie Scott die Musik aufgedreht hätte, aber laut genug. Sie konnte sich sehr gut denken
(Ich tue Ihnen an Stellen weh)
weshalb Mr. Jim »Zack McCool« Dooley die Anlage einge schaltet hatte. Sie wollte nicht
(an die Sie die Jungs nie rangelassen haben)
darüber nachdenken – tatsächlich wäre sie am liebsten wieder ohnmächtig gewesen –, aber sie konnte anscheinend nicht anders. »Der Verstand ist ein Affe«, hatte Scott oft ge sagt, und Lisey erinnerte sich sogar jetzt, da sie in der Bar nische auf dem Fußboden saß und offenbar mit einem Hand gelenk an ein Wasserrohr unter der Spüle gefesselt war, an die Quelle dieses Zitats: Unter
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