Love
aufgeholt hatte. Trotz des schwarzen Bluts, mit dem sein linker Ärmel jetzt von der Schulter bis zum Handgelenk getränkt war, flog er förmlich dahin. Lisey stolperte über eine Wurzel auf dem Weg, verlor fast das Gleichgewicht und schaffte es irgendwie doch, auf den Beinen zu bleiben – teilweise auch, weil sie sich vorstell te, dass Dooley binnen fünf Sekunden über sie herfallen wür de, wenn sie stürzte. Das Letzte, was sie spüren würde, würde sein Atem sein, das Letzte, was sie riechen würde, würde der bittere Geruch der Bäume um sie herum sein, während sie ihre gefährlichere Nachtidentität annahmen, und das Letzte, was sie hören würde, würde das verrückte Lachen der Hyänen-wesen sein, die tiefer im Wald hausten.
Ich kann ihn keuchen hören. Ich kann ihn hören, weil er auf holt. Auch wenn ich mit Höchstgeschwindigkeit renne – und das werde ich nicht lange durchhalten können –, ist er etwas schneller als ich. Wieso machte der beherzte Griff zwischen die Beine ihn nicht langsamer? Wieso nicht der Blutverlust?
Die Antwort auf diese Fragen war einfach, die Logik un widerlegbar: beides machte ihn langsamer. Sonst hätte er sie längst erwischt. Lisey war im dritten Gang. Sie versuchte einen vierten zu finden, aber das gelang ihr nicht. Anschei nend hatte sie keinen vierten Gang. Hinter ihr kamen Jim Dooleys keuchende, hechelnde Atemzüge immer näher, und sie wusste, dass sie in nur einer Minute, vielleicht früher, erst mals seine Finger am Rücken ihrer Bluse spüren würde.
Oder in ihren Haaren.
Der Weg neigte sich und wurde für kurze Zeit stei ler; die Schatten wurden länger. Sie glaubte, ihren Vorsprung vor Dooley endlich etwas vergrößern zu können. Sie wagte nicht, sich durch einen Blick davon zu überzeugen, und bete te darum, dass Amanda nicht versuchen würde, ihnen zu fol gen. Auf dem Sweetheart Hill mochte man sicher sein, und am Pool mochte man sicher sein, aber in diesen Wäldern war man nicht im Geringsten sicher. Jim Dooley war hier bei Wei tem nicht die schlimmste Gefahr. Jetzt hörte sie das leise, ver träumte Klingen von Chuckie D.s Glocke, die Scott in einem anderen Leben geklaut und auf dem Kamm des nächsten Hügels an einen Baum gehängt hatte.
Vor sich sah Lisey ein helleres Licht, nun kein rötliches Orange mehr, sondern nur noch ein erlöschendes rosa Nach glühen. Es stahl sich durch etwas lichteren Wald. Auch der Weg war hier ein bisschen heller. Sie konnte ihn vor sich sanft ansteigen sehen. Hinter diesem nächsten Hügel, das wusste sie einigermaßen sicher, fiel er wieder ab und schlängelte sich durch noch dichteren Wald, bis er den großen Felsen und den Pool dahinter erreichte.
Ich schaff's nicht, dachte sie. Ihr pfeifend gehender Atem war glühend heiß, und sie bekam langsam Seitenstechen. Er wird mich schnappen, bevor ich diesen Hügel halb bewältigt habe.
Es war Scotts Stimme, die ihr antwortete: oberflächlich mit einem Lachen, darunter überraschend ärgerlich. Dafür hast du dir das alles nicht angetan. Los jetzt, Babylove – SUWAS .
SUWAS , ja. Es umzuschnallen war ihr nie angebrachter er schienen. Lisey, der die Haare in schweißnassen Strähnen am Kopf klebten, fegte den Hügel hinauf. Sie schnappte beim Atmen gewaltig nach Luft, stieß die Luft in keuchenden Stößen aus. Sie wünschte sich den süßen Geschmack im Mund zurück, aber sie hatte ihren letzten Schluck aus dem Pool dem Verrückten hinter ihr gegeben, sodass sie nur noch den kupfrigen Geschmack von Erschöpfung auf der Zunge hatte. Sie konnte hören, dass er wieder näher kam – jedoch nicht mehr schreiend, offenbar sparte er sich seinen ganzen Atem für die Verfolgung auf. Ihr Seitenstechen wurde schlimmer. Ein hohes, süßes Klingen begann erst in ihrem rechten Ohr, dann in beiden. Die Lacher keckerten jetzt merklich näher, als wollten sie bei der Tötung zusehen. Sie konnte die Veränderung in den Bäumen riechen, ihr ehemals süßer Duft war bitter und scharf geworden wie der des alten Hennas, das Darla und sie nach Granny Ds Tod in ihrem Badezimmerschrank gefunden hatten, ein Giftgeruch, und …
Das sind nicht die Bäume.
Alle Lacher waren verstummt. Jetzt war nur noch zu hören, wie Dooley Atem aus der Luft riss, während er hinter ihr her stampfte und die letzte Lücke von einigen wenigen Metern zu schließen versuchte. Und woran sie dachte, waren Scotts Arme, die sich um sie schlossen, Scott, der sie an sich zog, Scott, der dabei flüsterte: Pst, Lisey. Um
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