Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
stumpfen Schnauze schien sich kurz zu kräuseln, fast Runzeln zu bilden, und Lisey erinnerte sich daran, wie Scott an jenem Tag in Nashville auf dem heißen Asphalt gelegen hatte. Als das gedämpfte Grunzen und die knirschenden Kaugeräusche begannen und Dooley anfing, seine letzten, scheinbar endlosen Schreie auszustoßen, musste sie daran denken, wie Scott ge flüstert hatte: Ich höre es fressen. Sie erinnerte sich daran, wie seine Lippen ein straffes O gebildet hatten, und hatte klar vor Augen, wie sie Blut gesprüht hatten, als er dieses unbeschreiblich widerwärtige Puffen imitiert hatte: winzige rubinrote Tröpfchen, die einen feinen Nebel gebildet hatten, der in der schwülheißen Luft hing.
    Jetzt rannte sie davon, obwohl sie geschworen hätte, dass sie zu keinem einzigen Schritt imstande wäre. Sie hetzte den Weg zurück in Richtung Lupinenhügel … nur fort von dieser Stelle in der Nähe des Glocken-und-Spaten-Baums, wo der Long Boy Jim Dooley bei lebendigem Leib fraß. Sie wusste, dass er Amanda und ihr damit einen Gefallen tat, aber sie wusste auch, dass das bestenfalls ein zweifelhafter Gefallen war, denn wenn sie diese Nacht überlebte, würde sie sich so wenig von dem Long Boy befreien können, wie Scott sich seit seiner Kindheit von ihm hatte befreien können. Jetzt hatte er auch ihr sein Mal aufgedrückt, hatte sie zu einem Teil seines niemals endenden Augenblicks, seiner schrecklichen, Welten umspannenden Aufmerksamkeit gemacht. Von nun an würde sie vorsichtig sein müssen, vor allem wenn sie zufällig mitten in der Nacht aufwachte … und Lisey ahnte, dass es von nun an aus war mit ruhig durchschlafenen Näch ten. In den ersten Morgenstunden würde ihr Blick Spiegel und Fensterscheiben meiden müssen – und vor allem die gekrümmten Außenseiten von Wassergläsern, Gott mochte wissen, warum. Sie würde sich so gut wie irgend möglich schützen müssen.
    Wenn sie diese Nacht überlebte.
    Es ist ganz in der Nähe, Schatz, hatte Scott geflüstert, als er zitternd auf dem heißen Asphalt gelegen hatte. Ganz in der Nähe.
    Hinter ihr kreischte Dooley, als würden seine Schreie nie mals mehr enden. Lisey hatte Angst, dass sein Geschrei sie in den Wahnsinn trieb. Oder es schon getan hatte.
    11 Kurz bevor sie unter den Bäumen hervorkam, hörten Dooleys Schreie endlich auf. Amanda war nirgends zu sehen. Das erfüllte Lisey mit neuerlichem Entsetzen. Was, wenn ihre Schwester in eine x-beliebige Himmelsrichtung davongelau fen war? Oder wenn sie vielleicht noch irgendwo in der Nähe war, aber zusammengerollt, erneut katatonisch und in den Schatten unsichtbar?
    »Amanda? Amanda?«
    Einen endlosen Augenblick lang hörte Lisey nichts. Dann folgte – Gott, endlich! – ein Rascheln im hohen Gras rechts von ihr, und Amanda erhob sich. Ihr Gesicht, von Anfang an blass und jetzt im Licht des aufgehenden Mondes noch blas ser, hätte ohne Weiteres einem Gespenst gehören können. Oder einer Harpyie. Mit ausgebreiteten Armen stolperte sie vorwärts, und Lisey schloss sie in die Arme. Amanda zitterte am ganzen Leib. Ihre im Nacken ihrer Schwester gefalteten Hände bildeten einen eisigen Knoten.
    »O Lisey, ich dachte, er würde nie mehr aufhören!«
    »Ich auch.«
    »Und so hoch … ich wusste nicht, wer … seine Schreie waren so hoch … Ich hab gehofft, dass er's war, aber dabei gedacht: ›Was, wenn es die Kleine ist? Was, wenn es Lisey ist?‹« Amanda begann an Liseys rechter Halsseite zu schluch zen.
    »Mir ist nichts passiert, Amanda. Ich bin hier, alles okay.« Amanda hob den Kopf von Liseys Hals, um ihrer jüngeren Schwester ins Gesicht sehen zu können. »Ist er tot?«
    »Ja.« Sie wollte ihr nicht von ihrer Eingebung erzäh len, Dooley könnte im Inneren des Wesens, das ihn gefres sen hatte, eine Art höllischer Unsterblichkeit erlangt haben. »Tot.«
    »Dann will ich zurückgehen! Können wir zurück?«
    »Ja.«
    »Ich weiß nicht, ob ich mir Scotts Büro gut genug vorstel len kann … ich bin so durcheinander …« Amanda sah sich ängstlich um. »Das hier sieht Südwind gar nicht ähnlich.«
    »Nein«, bestätigte Lisey. Sie schloss Amanda erneut in die Arme. »Und ich weiß, dass du Angst hast. Tu einfach dein Bestes.«
    Tatsächlich bereitete Lisey die Rückkehr in Scotts Büro, nach Castle Rock, in ihre Welt keine Sorgen. Sie ahnte, dass das eigentliche Problem darin bestehen könnte, dort zu blei ben . Sie erinnerte sich daran, dass ein Arzt, nachdem sie sich beim Schlittschuhlaufen eine

Weitere Kostenlose Bücher