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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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unser beider Leben willen musst du jetzt still sein.
    Sie dachte: Es liegt nicht quer über dem Weg wie im Jahr 2004, als er versucht hat, den Pool zu erreichen. Diesmal ist es parallel zum Pfad unterwegs. Wie damals, als ich im Ja nuar 1996, während des Wintersturms aus Yellowknife, zu ihm gekommen bin.
    Aber als sie eben die Glocke erspähte, die noch immer an ihrer verrottenden Schnur hing, sodass der letzte Schimmer des schwindenden Tages ihre Wölbung aufleuchten ließ, setz te Jim Dooley zu einem Endspurt an, und Lisey spürte seine Finger über den Rücken ihrer Bluse gleiten und dort irgend einen Halt suchen, ein BH -Träger hätte genügt. Sie schaffte es, den Schrei zu unterdrücken, der sich ihr entringen wollte – aber nur mit knapper Not. Sie flüchtete weiter und setzte selbst zu einem kleinen Zwischenspurt an, der ihr aber wohl nichts genutzt hätte, wäre Dooley nicht wieder gestolpert und mit einem Aufschrei gestürzt – »Du SCHLAMPE! « –, den er nach Liseys Überzeugung noch bereuen würde.
    Aber vielleicht nicht lange.
    8 Wieder das schüchterne Bimmeln von dem Baum, der früher
    (Das Essen ist fertig, Lisey! Los, los, beeil dich!)
    der Glocken-Baum gewesen und jetzt der Glocken-und Spaten-Baum war. Und da lag er, Scotts silberner Spaten. Als sie ihn hier niedergelegt hatte – einer starken Intuition fol gend, die sie jetzt verstand –, hatten die Lacher hysterisch gekeckert. Jetzt war es im Märchenwald still bis auf ihre eige nen gequälten Atemgeräusche und Dooleys keuchend hervor gestoßene Verwünschungen. Die Lacher waren verstummt, weil Dooley und sie nicht allein waren. Das sagte ihr nicht etwas, was sie mit den Ohren hörte, sondern vielmehr etwas, was sie mit dem Verstand hörte. Der Long Boy hatte geschla fen – zumindest gedöst – und war von Dooleys Gebrüll auf gewacht.
    Vielleicht war es so vorherbestimmt, aber das machte die Sache nicht leichter. Es war entsetzlich, das erwachende Flüstern nicht ganz fremdartiger Gedanken aus ihrem Unterbewusstsein aufsteigen zu fühlen. Sie glichen rastlosen Händen, die nach lockeren Brettern tasteten oder an der geschlossenen Abdeckung eines Brunnens rüttelten. Sie merkte, dass sie an allzu viele schreckliche Dinge dachte, die irgendwann ihr Herz und ihre Fassung untergraben hatten: zwei blutige Zähne, die sie einmal auf dem Boden einer Kinotoilette gefunden hatte; zwei kleine Kinder, die sich vor einem Tankstellenshop weinend in den Armen lagen; der Geruch ihres Mannes, als er sie auf seinem Totenbett aus glühenden Augen anstarrte; Granny D, die sterbend auf dem Hühnerhof lag, während ihr Fuß zuck-zuck-zuck machte.
    Schreckliche Gedanken. Schreckliche Bilder von der Art, die einen mitten in der Nacht quälen, wenn der Mond un tergegangen und die letzte Medizin eingenommen und die Stunde ungewiss ist.
    All das Bösmüllige. Gleich hinter den wenigen Bäumen.
    Und jetzt …
    In dem stets perfekten, niemals endenden Jetzt-Augenblick
    9 Keuchend, wimmernd, ihr Herzschlag nichts als Blut-rauschen in ihren Ohren, bückt sich Lisey nach dem silbernen Spaten. Ihre Hände, die vor achtzehn Jahren ihr Geschäft ver standen, verstehen sich auch jetzt darauf, selbst während ihr Kopf sich mit Bildern von Verlust, Schmerz und herzzerreißen der Verzweiflung füllt. Sie hört ihn kommen. Er flucht nicht mehr, aber sie hört, wie sein keuchender Atem sich nähert. Es wird knapp werden, noch knapper als bei Blondie, obwohl die ser Verrückte keine Waffe hat, denn wenn es Dooley gelingt, sie zu packen, bevor sie sich herumwerfen kann …
    Aber er schafft es nicht. Knapp nicht. Lisey dreht sich wie ein Batter, der einen knallharten Wurf kommen sieht, und schwingt den Spaten, so fest sie nur kann. Die Schaufel reflektiert das letzte Aufblitzen des rosa Widerscheins, ein verblühendes Bukett, und ihre rasant die Luft durchneidende Ober kante streift unterwegs die aufgehängte Glocke. Die Glocke sagt ein letztes Wort – TING! –, dann fliegt sie in die Dun kelheit davon, im Schlepptau ein Stück verrotteter Schnur. Lisey sieht den Spaten vorwärts und aufwärts weiterzischen und denkt auch diesmal wieder: Heilige Scheiße! Was für ein Schlag! Dann trifft die Breitseite des Spatens Jim Dooleys heranstürzendes Gesicht, diesmal jedoch ohne das Knacken, an das sie sich aus Nashville erinnert, sondern mit einem Dröhnen wie ein gedämpfter Gong. Dooley schreit vor Schmerz und Überraschung auf. Er taumelt zur Seite, gerät vom Weg unter die

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