Love
hinterließ auf einer Wange drei tiefe, blutende Krat zer, trotzdem lockerte sich der Griff um ihren Hals nicht im Geringsten – im Gegenteil. Das aus ihrer Kehle kommende Röcheln war jetzt lauter: das Geräusch irgendeiner primitiven Maschine mit Dreck im Getriebe. Vielleicht Mr. Silvers Kar toffelsortierer.
Amanda, wo zum Teufel steckst du?, dachte sie, und dann war Amanda da. Mit den Fäusten auf Dooleys Rücken und Schultern zu trommeln hatte nichts geholfen. Diesmal fiel sie auf die Knie, packte mit ihren zerschnittenen Händen durch seine Jeans hindurch seine Genitalien … und drehte .
Dooley heulte auf und stieß Lisey von sich. Sie flog ins hohe Gras, fiel auf den Rücken, rappelte sich sofort wieder auf und holte mit brennender Kehle keuchend Luft. Dooley stand vornübergebeugt da, mit hängendem Kopf und beiden Händen zwischen den Beinen; seine vor Schmerzen gekrümmte Haltung erinnerte Lisey an einen Unfall auf der Schulhofwip pe, den Darla nüchtern kommentiert hatte: »Das ist nur einer
der Gründe, warum ich froh bin, kein Junge zu sein.«
Amanda fiel ihn an.
»Manda, nein!«, rief Lisey erschrocken. Auch verletzt war Dooley elend flink. Er wich Amanda mühelos aus, dann schlug er sie mit einer knochigen Faust beiseite. Mit der anderen Hand riss er sich die nutzlose Nachtsichtbrille ab und warf sie ins Gras: Er schleuderte sie von sich. Aus seinen blauen Augen war jeglicher Anschein von Vernunft gewichen. Er hätte ohne Weiteres der Untote aus Empty Devils sein können, der unver söhnlich aus dem Brunnen geklettert kam, um sich zu rächen.
»Ich weiß nich genau, wo ich bin, Missus, aber eines sag ich Ihnen, Missus: Sie kommen nie mehr heim.«
»Sie sind derjenige, der nie mehr heimkommt, außer Sie erwischen mich«, sagte Lisey. Dann lachte sie wieder. Sie war verängstigt – zu Tode erschrocken –, aber dieses Lachen tat ihr gut, vielleicht weil sie begriff, dass es ihr Messer war. Jedes Lachen aus ihrer brennenden Kehle trieb die Spitze tiefer in sein Fleisch.
»Mach dich nich mit deim gottverdammtn Ha-ha über mich lustig, Schlampe, wag's bloß nich!«, brüllte Dooley und stürm te auf sie los.
Lisey wandte sich zur Flucht. Sie war nicht mehr als zwei Schritte in Richtung Weg gerannt, als sie Dooley vor Schmer zen aufschreien hörte. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie ihn auf den Knien. Aus seinem linken Oberarm ragte etwas, und der Hemdsärmel verfärbte sich rasch dunkel. Dooley rappelte sich auf und zog fluchend daran. Das heraus stehende Ding wackelte, aber es kam nicht heraus. Lisey sah etwas Gelbes aufblitzen, das sich waagerecht fortzupflanzen schien. Dooley schrie nochmals auf, dann zerrte er mit der freien Hand an dem Ding, das in seinem Fleisch steckte.
Lisey verstand. Das Verstehen kam blitzartig, war zu per fekt, um nicht wahr zu sein. Er hatte ihr hinterherrennen wol len, aber Amanda hatte ihm ein Bein gestellt, bevor er richtig in Gang gekommen war. Und er war auf Paul Landons Grab-kreuz gestürzt. Das Querbrett ragte aus seinem Bizeps wie eine übergroße Nadel. Jetzt riss er es heraus und schleuderte es fort. Die offene Wunde begann stärker zu bluten, sodass der Hemdsärmel sich bis zum Ellbogen scharlachrot verfärb te. Lisey wusste, dass sie dafür sorgen musste, dass Dooley seine Wut nicht an Amanda ausließ, die fast direkt vor seinen Füßen hilflos im Gras lag.
»Du fängst keinen Floh, mich nicht sowieso!«, skandierte Lisey und griff damit auf längst vergessen geglaubtes Spiel platzwissen zurück. Dann streckte sie Dooley die Zunge raus, steckte dazu ihre Daumen in die Ohren und wackelte mit den Fingern.
»Du Schlampe! Du Fotze!«, brüllte Dooley und stürmte auf sie los.
Lisey rannte davon. Sie lachte nicht mehr, inzwischen war sie nun doch zu verängstigt, um zu lachen, aber auf ihren Lip pen stand weiter ein erschrockenes Lächeln, als ihre Füße den Weg fanden und sie in den Märchenwald trugen, in dem es schon Nacht war.
6 Der Wegweiser ZUM POOL stand nicht mehr da, aber als Lisey das erste Wegstück entlangrannte – der Pfad eine dünne weiße Linie, die zwischen der dunkleren Masse der umstehenden Bäume zu schweben schien –, erklang vor ihr keckerndes Gelächter. Lacher, dachte sie und riskierte einen Blick über die Schulter, weil sie hoffte, dass, wenn ihr Freund Dooley diese Babys hörte, er vielleicht davon abkom men …
Aber nein. Dooley war weiter da, in den Flecken schwin denden Tageslichts sichtbar, weil er
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