Love
kleinen Brandy?«, fragte Amanda hoffnungsvoll. »Oder kriegen verrückte Ladys kei nen Brandy?«
»Verrückte Ladys nicht. Du schon.«
Sie tasteten sich, an den Händen haltend, zur Treppe vor. Lisey blieb nur einmal stehen, als sie auf etwas trat, bückte sich und hob ein rundes Stück Glas auf, das vielleicht gut zwei Zentimeter dick war. Sie merkte, dass dies eins der Glä ser aus Dooleys Nachtsichtbrille war, und ließ es mit einer angewiderten Grimasse fallen.
»Was?«, fragte Amanda.
»Nichts. Ich kann ein bisschen was sehen. Und du?«
»Ein bisschen. Aber lass meine Hand nicht los.«
»Tu ich nicht, Schätzchen.«
So stiegen sie miteinander die Treppe zur Scheune hinun ter. Auf diese Weise dauerte es etwas länger, aber es kam ih nen weit sicherer vor.
13 Lisey stellte ihre kleinsten Saftgläser hin und goss ihnen beiden einen Schuss Brandy aus der Flasche ein, die sie ganz hinten in der Hausbar im Speisezimmer entdeckt hatte. Sie hob ihr Glas und stieß mit Amanda an. Die beiden standen an der Küchentheke. Sämtliche Lampen brannten, sogar die Schwanenhalslampe in der Ecke, in der Lisey an einem alten Schulpult ihre Schecks schrieb.
»Over the teeth«, sagte Lisey.
»Over the gums«, sagte Amanda.
»Look out guts, here it comes«, sagten sie gemeinsam und kippten ihren Schnaps.
Amanda krümmte sich zusammen und atmete geräusch voll aus. Als sie wieder hochkam, hatte sie rote Flecken auf den zuvor blassen Wangen, einen rosigen Streifen auf der Stirn und einen winzigen scharlachroten Sattel über dem Nasenrücken. In ihren Augen standen Tränen.
»Scheiße, verdammte! Was war das?«
Lisey, deren Kehle wie Feuer brannte, griff nach der Flasche und las das Etikett. S TAR B RANDY stand darauf. HERGESTELLT IN RUMÄNIEN .
»Rumänischer Brandy?«, fragte Amanda entgeistert. »So was gibt's nicht! Wo hast du das Zeug her?«
»Scott hat es irgendwann geschenkt bekommen. Als Ge genleistung für irgendeine Gefälligkeit – ich weiß nicht mehr, welche –, aber ich glaube, eine Schreibgarnitur hat er auch noch bekommen.«
»Das Zeug ist wahrscheinlich giftig. Kipp es weg, und ich bete dafür, dass wir nicht sterben müssen.«
»Du kippst es weg. Ich mache uns heiße Schokolade. Aus der Schweiz. Nicht aus Rumänien.«
Als sie sich abwenden wollte, berührte Amanda sie an der Schulter. »Vielleicht sollten wir auf die heiße Schokolade ver zichten und einfach nur abhauen, bevor einer der Deputys vom Sheriff's Department vorbeikommt, um nach dir zu sehen.«
»Glaubst du?« Noch während Lisey das fragte, wusste sie, dass Amanda vermutlich recht hatte.
»Ja. Traust du dich, noch mal ins Büro raufzugehen?«
»Klar.«
»Dann hol meinen kleinen Revolver. Vergiss nicht, dass dort oben kein Licht brennt.«
Lisey klappte den Deckel des alten Schulpults auf, an dem sie ihre Schecks schrieb, und holte eine lange Stablampe heraus. Sie schaltete sie ein. Der Lichtstrahl war blendend hell.
Amanda spülte ihre Gläser aus. »Wenn bekannt würde, dass wir hier gewesen sind, wäre das nicht das Ende der Welt. Aber wenn deine Deputys rauskriegen, dass wir mit einem Revol ver hier waren … und dass ungefähr gleichzeitig ein Mann spurlos verschwunden ist …«
Lisey, die nur so weit vorausgeplant hatte, dass sie Dooley zu dem Glocken-und-Spaten-Baum führen wollte (an den Long Boy hatte sie dabei nie gedacht), erkannte, dass noch jede Menge harte Arbeit vor ihr lag, in die sie sich schnells tens stürzen musste. Professor Woodbody würde das Ver schwinden seines alten Saufkumpans niemals melden, aber der Mann konnte irgendwo Verwandte haben, und wenn ir gendwer ein Motiv dafür hatte, den Schwarzen Fürsten der Inkunks zu beseitigen, dann war das Lisey Landon. Natürlich gab es keine Leiche (die Scott in seiner oft bemüht witzigen Art als Corpus delicious bezeichnet hätte), trotzdem hatten ihre Schwester und sie einen Nachmittag und Abend ver bracht, die man für äußerst verdächtig halten konnte. Außer dem wusste das Sheriff's Department, dass Dooley sie beläs tigt hatte; das hatte sie schließlich selbst angezeigt.
»Ich hole seinen Schiet«, sagte sie.
Amanda lächelte nicht. »Gut.«
14 Die Stablampe beleuchtete einen breiten Bereich, und allein im Büro zu sein war nicht so unheimlich, wie Lisey befürchtet hatte. Dass sie Dinge zu erledigen hatte, war zwei fellos hilfreich. Als Erstes legte sie den Pathfinder wieder in seinen Schuhkarton, bevor sie sich daranmachte, den Fuß boden abzusuchen.
Weitere Kostenlose Bücher