Love
gruppieren sich – noch immer langsam, weiter in Lisey-Zeit – die Elemente von Stefan Queenslands preisge krönter Aufnahme.
Captain S. Heffernan hat nur wenige Sekunden nach Lisey erkannt, was hier vorgeht, aber auch er hat mit dem Problem zu kämpfen, dass ihm jemand den Weg versperrt – in seinem Fall ein fetter, pickeliger Kerl, der sackartige Bermudashorts und ein T-Shirt mit Scott Landons lächelndem Gesicht trägt. Captain Heffernan rempelt den jungen Mann mit einer mus kulösen Schulter beiseite.
Unterdessen sinkt Blondie zu Boden (und aus dem Bereich des zukünftigen Fotos): mit einem benommenen Ausdruck in einem Auge, während aus dem anderen Blut quillt. Blut schießt auch aus dem Loch, das irgendwann in der Zukunft wieder seine Funktion als Mund übernehmen wird. Heffernan bekommt den tatsächlichen Schlag überhaupt nicht mit.
Roger Dashmiel, der sich vielleicht darauf besinnt, dass er als Gastgeber fungieren soll und nicht als großes altes Karni ckel, wendet sich Eddington, seinem Schützling, und Landon, seinem lästigen Ehrengast, gerade rechtzeitig zu, um seinen Platz als starrendes, leicht verschwommenes Gesicht im Hin tergrund des entstehenden Fotos einzunehmen.
Scott Landon marschiert inzwischen unter Schock geradewegs aus der preisgekrönten Aufnahme. Er geht, als würde er die Hitze gar nicht wahrnehmen, ist mit großen Schritten zum Parkplatz und der Nelson Hall dahinter unterwegs, die die Englischfakultät beherbergt und Gott sei Dank klimatisiert ist. Er schreitet überraschend energisch aus, zumindest anfangs, und ein großer Teil der Menge hält mit ihm Schritt, ohne überhaupt zu ahnen, was passiert ist. Lisey ist wütend und gleichzeitig nicht überrascht. Wie viele haben schließlich Blondie mit dieser verdammten kleinen Pistole in der Hand gesehen? Und wie viele haben diese Knalle wie von platzenden Papiertüten als Schüsse erkannt? Das Loch in Scotts Sportsakko könnte etwas Erde vom Schaufeln sein, und das Blut, das sein Hemd tränkt, ist noch nicht sichtbar. Inzwi schen macht er bei jedem Atemholen ein seltsam pfeifendes Geräusch, aber wie viele von ihnen achten darauf? Nein, es ist sie, die sie anstarren – zumindest einige von ihnen –, die ver rückte Tussi, die soeben scheinbar grundlos ausgeholt und einem Kerl die Fresse mit einem silbernen Zierspaten poliert hat. Viele von diesen Leuten haben doch tatsächlich ein Grinsen im Gesicht, als glaubten sie, das alles wäre Teil einer zu ihrer Unterhaltung veranstalteten Show, der Scott Landon Roadshow. Nun, scheiß auf sie, scheiß auf Dashmiel und scheiß auf den trägen, verspätet eingreifenden Campus-Cop mit seiner schaurig rihiesigen Mundöffnung. Ihre Aufmerk samkeit gilt jetzt nur noch Scott. Sie streckt die Hand mit dem Spaten fast blindlings nach rechts aus, und Eddington, ihr Rent-a-Boswell, nimmt ihn ihr ab. Hätte er es nicht getan, hätte er ihn auf die Nase bekommen. Dann, noch immer in diesem schrecklichen Zeitlupentempo, rennt Lisey hinter ih rem Mann her, dessen Energie sich verflüchtigt, sobald er die Brutofenhitze des Parkplatzes erreicht. Hinter ihr starrt Tony Eddington den silbernen Spaten an, als wäre er womöglich eine Artilleriegranate, ein Strahlenspürgerät oder die Hinter lassenschaft irgendeiner großen ausgestorbenen Rasse, und neben ihm taucht Captain S. Heffernan mit seiner irrigen Auffassung vom Helden des Tages auf. Von diesem Teil sieht Lisey nichts, wird nichts davon sehen, bis ihr achtzehn Jahre später der Zeitungsausschnitt mit Queenslands Foto in die Hände fällt, aber sie hätte ohnehin nicht darauf geachtet, selbst wenn sie es gesehen hätte; sie konzentriert sich ganz auf ihren Mann, der gerade auf dem Asphalt auf alle viere gesunken ist. Sie versucht, die Lisey-Zeit dazu zu brin gen, schneller abzulaufen. Und in diesem Augenblick schießt Queensland sein Foto, wobei er am äußersten rechten Bildrand gerade noch einen halben Schuh erwischt, was ihm jedoch weder damals noch später bewusst wird.
6 Der Pulitzerpreisträger, das Enfant terrible, das sei nen ersten Roman im zarten Alter von einundzwanzig Jahren veröffentlicht hat, geht zu Boden. Scott Landon wird auf die Bretter geschickt, wie man so schön sagt.
Lisey unternimmt eine gewaltige Anstrengung, um aus dem unerträglich zähen Zeitmorast herauszukommen, in dem sie festzustecken scheint. Sie muss sich daraus befreien, denn wenn sie ihn nicht erreicht, bevor die Menge ihn umgibt und sie ausschließt, werden die
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