Love

Herumkriechen gab. Ich traf ihn in die Mitte, genau dort, wo ich ihn treffen wollte, aber selbst Barmherzigkeit ist in der Erinnerung eines Beteiligten hässlich; das ist eine Lektion, die ich schon als Zehnjähriger gelernt habe. Sein Schädel explodierte. Haare und Blut und Gehirnmasse spritzten hoch und auf die Decke, die er über die Rückenlehne des Sofas gehängt hatte. Rotz schoss ihm aus der Nase, und die Zunge baumelte ihm aus dem Mund. Sein Kopf sackte über den Sofarand, und ich hörte leise Tropfgeräusche, als Blut und Gehirnmasse aus seinem Kopf leckten. Etwas davon klatschte auf meine Füße, und es war warm. Aus dem Radio kam weiter Hank Williams. Eine Hand meines Daddys ballte sich zur Faust, dann streckten die Finger sich wieder. Ich roch Scheiße und wusste, dass er sich in die Hose ge
    macht hatte. Und ich wusste, dass es aus war mit ihm.
    Der Pickel hat noch in seim Kopf gesteck.
    Ich kriech inne Eck von ’nem Raum und roll mich zusamm und wein. Ich
    wein und wein. Vielleich hab ich auch geschlafen, weiß ich nich, aber dann wars heller und die Sonne war fast draußn und es war wol gegen mit tag. Also muss ich fast 7 Stundn geschlafn ham. Dann hab ich vasucht, mein Daddy nach Boo’ya-Mond zu schaffn, und konnts nich. Ich dachte, was zu essen würd helfn, aber ich konnts imma noch nich. Dann hab ich gedacht, vielleicht wenn ich dusch und mir das Blut abwasch, sein Blut, aber ich konnts trotzdem nich. Ich habs vasucht und vasucht. Zwischndurch war ich gar nich da. Zwei Tage lang schätz ich. Manchmal hab ich ihn mir angesehn, wie er in die Deck gewiggelt dalag, und mir vor stellt, wie er in ’ner Geschichte sagt: Streng dich weider an Scoot alter Hurensohn du kannsts schaffn. Ich habs vasucht, dann hab ich sauberge macht, vasucht und saubergemacht, was gegessn und wieder vasucht. Ich hab das ganze Haus geputz! Von obn bis untn! Einmal war ich selbs in Boo’ya, um zu beweisn, das ichs noch konnt, aber ich konnt mein Daddy nich mitnehm. Ich hab mir solche Mühe gegebn, Lisey.
    23 Wieder mehrere leere Zeilen. Ganz unten auf der vor letzten Seite hatte er geschrieben: Manche Dinge sind wie ein ANKER weißt du das noch Lisey?
    »Das tue ich, Scott«, murmelte sie. »Das tue ich. Und dein Vater hat dazugehört, nicht wahr?« Sie fragte sich, wie viele Tage und Nächte es insgesamt gewesen waren. Wie viele Tage und Nächte allein mit dem toten Andrew »Sparky« Landon, bevor Scott endlich aufgab und die Welt verständigte. Und sie fragte sich, wie um Himmels willen er das ausgehalten hatte, ohne den Verstand zu verlieren.
    Auf der Rückseite des letzten Blattes standen nur noch wenige Zeilen. Lisey überflog sie und stellte fest, dass sie eine ihrer Fragen beantworteten.
    Fünf Tage hab ich’s vasucht. Schlieslich hab ich aufgegebn und ihn in die Deck gewiggelt und in den trokenen Brunn geworfn. Als der Regn mal aufgehöhrt hat, bin ich zu Mulies gelaufn und hab gesagt: »Mein Daddy hat meinen großen Bruder mitgenomm, und ich schätze, die zwei haben mich sitzen lassen.« Man hat mich zu dem County Sheriff, einem dicken alten Kerl namens Gosling, gebracht, und er hat mich zum Jugendamt gebracht, und »die County hat mich durchgefüttert«, wie man sagt. Mei nes Wissens war Gosling der einzige Cop, der jemals oben auf der Farm war, und das hatte nichts zu bedeuten. Mein eigener Daddy hat mal gesagt: »Sheriff Gosling könnt den eigenen Arsch nich finden, wenn er grad scheißen war.«
    Dann folgten wieder drei leere Zeilen, und als der Text in Druckbuchstaben weiterging – diese allerletzte, nur wenige Zeilen lange schriftliche Nachricht von ihrem Mann –, konn te sie sehen, wie sehr er sich angestrengt hatte, sich unter Kontrolle zu bringen, zu seinem erwachsenen Ich zurückzu finden. Das hatte er um ihretwillen getan, vermutete sie. Nein, sie wusste es.
    Babylove: Wenn du jemals einen Anker brauchst, um deinen Platz in der Welt zu behalten – nicht in Boo’ya-Mond, sondern in unserer gemein samen –, benutz den African . Du weißt, wie man ihn zurückbringen kann.
    Küsse – mindestens tausend,
    Scott
    P.S. Alles beim Alten. Ich liebe dich.
    24 Mit seinem Brief in der Hand hätte Lisey lange dasit zen können, doch der Nachmittag ging rasch in den Abend über. Obwohl die Sonne noch gelb war, näherte sie sich jetzt dem Horizont und würde bald die grell orangerote Färbung annehmen, an die sie sich so gut erinnerte. Sie wollte nicht einmal gegen Sonnenuntergang auf dem Weg sein, und das