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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aber ich greife trotzdem nach der Spitzha cke, stehe mit ihr in den Händen da und betrachte ihn, den Herrn meines Lebens, den Tyrannen meiner Tage. Ich habe ihn oft gehasst, und er hat mir nie genug Gründe gegeben, ihn zu lieben, das weiß ich jetzt, aber ein paar hat er mir doch gegeben, vor allem in den schrecklichen Wochen nachdem Paul übergeschnappt war. Und während dieses Wohnzimmer sich um fünf Uhr morgens zögernd mit dem ersten Tageslicht füllt und Grau peln leise an die Fenster ticken und unter mir sein röchelndes Schnarchen ertönt, während im Radio der Werbespot irgendeines Möbelmarkts in Wheeling, West Virginia, läuft, das ich nie besuchen werde, erkenne ich, dass alles auf eine nüchterne Wahl zwischen diesen beiden – Liebe und Hass – hinausläuft. Jetzt werde ich erfahren, welches von beiden mein Kinderherz regiert. Ich kann ihn leben lassen und die Straße hinunter zu Mulie’s rennen, in irgendein neues Leben weglaufen und ihn so zu der Hölle verdammen, die er fürchtet und vielfach verdient hat. Reichlich ver dient hat. Erst die Hölle auf Erden, die Hölle einer Zelle in einer Klaps mühle, und danach vielleicht bis in alle Ewigkeit das Fegefeuer, vor dem er wirklich Angst hat. Oder ich kann ihn erschlagen und dadurch befreien.
    Diese Entscheidung fällt mir zu, und es gibt keinen Gott, der mir dabei helfen könnte, denn ich glaube an keinen.
    Stattdessen bete ich zu meinem Bruder, der mich geliebt hat, bis das Bösmüllige ihm Herz und Verstand geraubt hat. Ich bitte ihn, mir zu sagen, was ich tun soll, falls er da ist. Und ich kriege eine Antwort – auch wenn ich wohl nie erfahren werde, ob sie wirklich von Paul ist oder nur meiner eigenen Fantasie entstammt, die sich als Paul ausgibt. Aber das ist letztlich egal; ich brauche eine Antwort und kriege eine. In meinem Ohr sagt Paul klar und deutlich wie zu seinen Lebzeiten: »Daddys Beloh nung ist ein Kuss.«
    Daraufhin fasse ich die Spitzhacke fester. Der Werbespot im Radio ist vorbei, und Hank Williams folgt mit: »Why don’t you love me like you used to do? How come you treat me like a worn-out shoe?« Und
    21 Hier folgten drei leere Zeilen, bevor der Bericht wei terging: diesmal in der Vergangenheitsform und direkt an sie gerichtet. Der Rest war fast ohne Rücksicht auf die blauen Notizbuchzeilen zusammengedrängt, und Lisey war davon überzeugt, dass er das Ende in einem Rutsch hingekritzelt hatte. Genauso las sie ihn. Sie blätterte zur letzten Seite um, las weiter und wischte sich ständig die Tränen ab, um klar genug sehen zu können, damit sie begriff, was er sagte. Eine mentale Vorstellung davon zu haben, merkte sie, war teuflisch einfach. Während das Radio dudelt, hebt der kleine Junge, barfuß, vielleicht mit seiner einzigen nicht zerrissenen Jeans bekleidet, im fahlen Licht vor Tagesanbruch die Spitzhacke über seinem schlafenden Vater, und einen Augenblick lang hängt sie nur in der nach Brombeerwein stinkenden Luft, und alles ist beim Alten. Dann
    22 ich habe zugeschlagen. Lisey, ich habe aus Liebe zugeschlagen – ich schwör’s dir – und meinen Vater umgebracht. Ich hatte Angst, ich würde zwei Mal zuschlagen müssen, aber dieser eine Schlag war genug, und er hat mich mein ganzes Leben lang verfolgt, hat in jedem Gedanken gesteckt, den ich mein ganzes Leben lang hatte. Ich habe meinen Vater umgebracht , das ist morgens beim Aufstehen ebenso mein erster Gedan ke wie abends beim Zubettgehen mein letzter. Er stand schemenhaft hin ter jeder Zeile, die ich jemals in irgendeinem Roman, irgendeiner Erzäh lung geschrieben habe: Ich habe meinen Vater umgebracht. Das habe ich dir an jenem Tag unter dem Lecker-Baum erzählt, und ich glaube, es war eben Ventil genug, um mich daran zu hindern, in fünf oder zehn oder fünf zehn Jahren völlig zu explodieren. Aber eine Aussage ist nicht dasselbe wie davon zu erzählen .
    Lisey, wenn du dies liest, bin ich nicht mehr da. Ich schätze, mir bleibt nicht mehr viel Zeit, aber was ich an Zeit erleben durfte (und es war eine sehr schöne Zeit), habe ich alles dir zu verdanken. Du hast mir so viel gegeben. Schenk mir nur noch dies: einen Blick auf diese letzten paar Worte, die schwierigsten, die ich je geschrieben habe.
    Wie hässlich solch ein Tod ist, selbst wenn er augenblicklich eintritt, lässt sich mit Worten nicht beschreiben. Gott sei Dank, dass mein Schlag ihn nicht nur gestreift hat und ich kein zweites Mal zuschlagen musste; Gott sei Dank, dass es kein Quieksen oder

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