Love
Darla herauskam – im Laufschritt und krampf haft bemüht, nicht zu weinen.
»Gott sei Dank, dass du da bist«, sagte sie, und als Lisey das Blut an ihren Händen sah, musste sie wieder an Bools denken, und sie dachte daran, wie ihr Zukünftiger aus der Dunkelheit gekommen war und ihr seine Hand hingestreckt hatte, die nur eigentlich nicht mehr wie eine Hand ausgesehen hatte.
»Darla, was …«
»Sie hat es wieder getan! Diese Verrückte hat sich schon wieder geritzt! Ich war nur rasch mal auf der Toilette … Sie hat friedlich in der Küche gesessen und Tee getrunken. ›Alles in Ordnung, Manda?‹, hab ich gefragt … und …«
»Immer mit der Ruhe«, unterbrach Lisey ihre Schwester und zwang sich dazu, wenigstens ruhig zu sprechen. Sie war im mer die Besonnene gewesen, hatte zumindest die Besonnene gespielt, die Immer mit der Ruhe oder Vielleicht sieht es schlim mer aus, als es ist gesagt hatte. Aber wäre das nicht eigentlich die Aufgabe der Ältesten gewesen? Vielleicht nicht, wenn die älteste Tochter sich als gottverdammte Irre erwies.
»Oh, sie wird nicht sterben, aber da drin sieht's grässlich aus«, sagte Darla und begann nun doch zu weinen. Klar, weil
ich jetzt da bin, kannst du dich gehen lassen, dachte Lisey . Keine von euch kommt jemals auf die Idee, dass die kleine Lisey selbst ein paar Probleme haben könnte, nicht wahr?
Darla hielt sich erst eine Nasenhälfte, dann die andere zu und blies undamenhaft trompetend auf Amandas dunkler werdenden Rasen. »Wirklich eine Katastrophe, sag ich dir, vielleicht hast du recht, vielleicht ist eine Einrichtung wie Greenlawn die Antwort … wenn sie privat ist … und diskret … ich weiß nicht recht … vielleicht kannst du was mit ihr anfan gen, vielleicht eher als ich, auf dich hört sie, das hat sie schon immer getan, ich bin mit meinem Latein am Ende …«
»Komm schon, Darl«, sagte Lisey beruhigend und erlebte zugleich eine Offenbarung: In Wirklichkeit wollte sie über haupt keine Zigaretten. Zigaretten waren eine schlechte An gewohnheit von gestern. Zigaretten waren so tot wie ihr früherer Mann, der vor zwei Jahren bei einer Lesung zusam mengebrochen und kurz darauf in einem Krankenhaus in Kentucky gestorben war, Bool, das Ende. Was sie jetzt am liebsten in der Hand gehalten hätte, war keine Salem Light, sondern der Stiel dieses silbernen Spatens.
Der war ein Trostspender, den man nicht mal anzuzünden brauchte.
3 Das ist ein Bool, Lisey!
Diese Worte glaubte sie wieder zu hören, als sie in Aman das Küche Licht machte. Und sah ihn wieder, wie er über den im Schatten liegenden Rasen hinter ihrem Apartment in Cleaves Mills auf sie zukam. Scott, der verrückt sein konnte. Scott, der tapfer sein konnte. Scott, der unter den richtigen Umständen beides gleichzeitig sein konnte.
Und nicht nur irgendein Bool, sondern ein Blut-Bool!
Hinter dem Apartment, in dem sie ihm das Vögeln bei gebracht hatte, in dem er ihr beigebracht hatte, »schmicken« statt »ficken« zu sagen, in dem sie einander beigebracht hat ten, zu warten, zu warten, zu warten, bis der Wind sich dreh te. Scott, der durch betäubend schweren Blütenduft heran gewatet kam, weil es fast Sommer war und die Jalousien des Gewächshauses Parks Greenhouse geöffnet waren, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. Scott, der in einer Spätfrüh lingsnacht aus diesem Duftschwall in den Lichtkreis vor der Hintertür trat, an der Lisey wartend stand. Sauer auf ihn, aber nicht mehr allzu sauer, sondern fast bereit, sich wieder zu vertragen. Sie war schließlich schon früher versetzt wor den (jedoch nie von ihm) und hatte erlebt, dass Freunde (auch Scott) angetrunken aufkreuzten. Aber als sie ihn dann ge sehen hatte …
Ihr erstes Blut-Bool.
Und dies hier war ein weiteres. Amandas Küche war mit dem bespritzt und beschmiert und bekleckert, was Scott manch mal – meistens in einer schlechten Howard-Cosell-Imita tion – als »roten Bordeaux« bezeichnet hatte. Rote Tropfen standen auf Mandas Arbeitsplatte aus fröhlich gelbem Re sopal; die Glastür der Mikrowelle war damit verschmiert; auf dem Linoleum waren Spritzer und Klumpen und sogar ein einzelner roter Fußabdruck zu sehen. Ein in die Spüle gewor fenes Geschirrtuch war rot getränkt.
Lisey betrachtete das alles und spürte, wie ihr Herz zu jagen begann. Das war ganz natürlich, sagte sie sich selbst; der Anblick von Blut bewirkte das bei vielen Menschen. Außerdem hatte sie einen langen, stressreichen Tag hinter sich. Denk vor allem
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