Love
Geschenk entgegen, sie ist sich sicher, dass er es als Geschenk meint, genau wie sie sich ziemlich sicher ist, dass dort irgendwo darunter noch eine Hand steckt, o betet zu Jesus, Maria und Jojo dem ewig liebenden Zimmermann, dass sich irgendwo darunter noch eine Hand befindet, sonst muss er den Roman, an dem er gerade arbeitet – und alle, die vielleicht noch kommen werden –, einhändig zu Ende tippen. Denn wo seine linke Hand war, ist jetzt nur eine rote, triefende Masse zu sehen. Blut tropft zwischen den gespreizten Seesterndingern hervor, die sie für seine Finger hält, und noch während sie ihm entgegenfliegt, wobei ihre Füße über die Stufen der Hintertreppe hinabstottern, zählt sie diese gespreizten roten Formen, eins zwei drei vier und o Gott sei Dank, diese fünfte ist der Daumen. Alles ist noch da, aber seine Jeans sind rot bespritzt, und er streckt ihr noch immer seine blutige zerschnittene Hand entgegen, mit der er eine Scheibe des dicken Treibhausglases durchstoßen hat, nachdem er sich gewaltsam durch die Hecke am Fuß der Rasenfläche gezwängt hat, um ans Treibhaus heranzukommen. Jetzt hält er ihr dieses Geschenk hin: sein Sühneopfer für sein Zuspätkommen, sein Blut-Bool.
»Das ist für dich«, sagt er, als sie sich ihre Bluse herunter reißt, sie um die rote, bluttriefende Masse wickelt und spürt, wie der Stoff sofort durchweicht ist, spürt, welch verrückte Hitze seine Verletzung abstrahlt, und nun versteht – natür lich! –, warum ihre leise innere Stimme so ängstlich wurde, als sie ihm all diese Dinge an den Kopf warf, weil sie von Anfang an gewusst hatte: Dieser Mann liebt nicht nur sie, er ist zur Hälfte auch in den Tod verliebt und nur allzu gern bereit, alles Gemeine und Verletzende zu glauben, was irgend jemand über ihn sagt.
Irgendjemand?
Nein, nicht ganz. Ganz so verwundbar ist er nicht. Nur ir gendjemand, den er liebt. Und Lisey merkt plötzlich, dass sie nicht die Einzige ist, die fast nichts über ihre Vergangenheit erzählt hat.
»Das ist für dich. Um dir zu zeigen, dass es mir leidtut, dass es nicht wieder vorkommen soll. Es ist ein Bool. Wir …«
»Pst, Scott. Schon gut. Ich bin nicht …«
»Wir nennen es ein Blut-Bool. Es ist was Besonderes. Daddy hat Paul und mir …«
»Ich bin dir nicht böse. Ich bin dir nie böse gewesen.«
Er bleibt am Fuß der schieferigen Hintertreppe stehen und glotzt sie an. Mit diesem Gesichtsausdruck sieht er aus wie ein ungefähr zehnjähriger Junge. Ihre geblümte Bluse ist unge schickt um seine Hand gewickelt, umgibt sie wie der Zier handschuh eines Ritters; sie war ursprünglich gelb, besteht jetzt aber nur noch aus Blüten und Blut. Lisey steht in ihrem Maidenform- BH auf dem Rasen und spürt, wie das Gras ihre nackten Knöchel kitzelt. Der milde gelbe Lichtschein, der sich von der Küche her über sie ergießt, wirft einen steil gekrümm ten Schatten zwischen ihre Brüste. »Nimmst du es an?«
Er sieht sie mit solch kindlichem Flehen im Blick an. Alles Männliche scheint im Moment von ihm abgefallen zu sein. Sie sieht den Schmerz in seinem langen, sehnsüchtigen Blick und ahnt, dass er nicht von seiner zerschnittenen Hand her rührt, weiß aber nicht, was sie sagen soll. Diese Sache geht über ihren Horizont. Sie hat gut daran getan, den grässlichen rohen Fleischklumpen, zu dem dieser Mann seine Hand ge macht hat, mit einem Notverband zu bedecken, doch jetzt ist sie wie erstarrt. Gibt es die richtigen Worte? Oder noch wich tiger: Gibt es die falschen? Worte, die ihn erneut provozieren könnten?
Scott hilft ihr. »Wenn du ein Bool annimmst – besonders ein Blut-Bool –, dann ist alles wieder in Ordnung. Das hat Daddy gesagt. Das hat Daddy immer zu Paul-n-mir gesagt.« Er ist wieder in die Sprache seiner Kindheit verfallen. O Jes ses. Jesses, Louise.
Lisey sagt: »Dann nehme ich es an, schätze ich, weil ich von vornherein keinen schwedischen Kultfilm mit Untertiteln sehen wollte. Meine Füße haben wehgetan. Ich wollte bloß mit dir ins Bett. Und sieh nur, jetzt müssen wir stattdessen in die verdammte Notaufnahme!«
Er schüttelt den Kopf – langsam, aber nachdrücklich.
»Scott …«
»Wenn du mir nicht böse warst, warum hast du mich dann angeschrien und mir die ganzen Bösmülligkeiten an den Kopf geworfen?«
Die ganzen Bösmülligkeiten. Bestimmt eine weitere Post karte aus seiner Kindheit. Sie merkt sich den Ausdruck, spei chert ihn, um ihn später hinterfragen zu können.
»Weil ich meine Schwester
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