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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nichts davon haben, wenn sie Jodi anrufen. Jodi ist anders als die übrigen Debusher-Girls. Darla nennt sie kalt, und Canty nennt sie egoistisch, und beide nennen sie gleichgültig, aber Lisey glaubt, dass es dabei um etwas ganz anderes geht – etwas Besseres und Subtileres. Von den fünf Mädchen ist Jodi die einzige wirkliche Überlebenskünstlerin: völlig immun gegen die aus dem alten Familien-Tipi aufsteigenden Schuldwolken. Einst hat Granny D diese Düns te erzeugt, dann Good Ma, aber auch Darla und Canty, bereit, sie abzulösen, haben schon begriffen, dass, wenn man die sen giftigen, süchtig machenden Rauch »Pflicht« nennt, einen niemand auffordert, das Feuer zu löschen. Lisey wünschte manchmal, sie wäre Jodi ähnlicher, damit sie Darla, wenn sie das nächste Mal anruft, lachend auffordern könnte: Verschon mich mit deinem Gesülze, Darla-Darlin'; wie man sich bettet, so liegt man eben.
    15 Sie steht in der Hintertür. Blickt hinaus auf die lange, leicht abfallende Rasenfläche hinter dem Haus. Wünscht sich, ihn aus der Dunkelheit auf sich zukommen zu sehen. Möchte ihn am liebsten zurückrufen – ja, mehr als jemals zuvor –, hält seinen Namen aber hartnäckig hinter ihren Lippen ver borgen. Sie hat den ganzen Abend lang auf ihn gewartet. Sie wird noch etwas länger warten.
    Aber nicht mehr sehr viel länger.
    Allmählich bekommt sie solche Angst.
    16 Daddys Radio empfängt nur Mittelwelle. WGUY sen det lediglich tagsüber und ist längst verstummt, aber WDER spielte Oldies, als sie ihr Weinglas ausspülte – irgendein Fünf zigerjahreheld sang von junger Liebe – und ins Wohnzimmer zurückging, und bingo!, da stand er mit einer Bierdose in der Hand und seinem schiefen Lächeln im Gesicht in der Tür. Wahrscheinlich hatte sie seinen Ford wegen der Musik nicht vorfahren gehört. Oder wegen ihrer pochenden Kopfschmer zen. Oder wegen beidem.
    »He, Lisey«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Tut mir echt leid. Ein paar von uns aus Davids Honors-Seminar sind in eine Diskussion über Thomas Hardy geraten, und …«
    Sie wandte sich wortlos von ihm ab und ging zurück in die Küche, zurück zum Klang des alten Philcos. Jetzt sangen ein paar Kerle »Sh-Boom«. Er folgte ihr. Sie wusste, dass er ihr folgen würde; so liefen solche Dinge ab. Sie konnte spüren, wie ihr all die Dinge, die sie ihm zu sagen hatte, in der Kehle hochstiegen, bittere Dinge, giftige Dinge, und irgendeine ein same ängstliche Stimme riet ihr, sie nicht zu sagen, nicht zu diesem Mann, doch sie wischte diese Stimme beiseite. In ih rem Zorn konnte sie nicht anders.
    Er wies mit dem Daumen auf das Radio und sagte dämlich stolz auf sein unnützes Wissen: »Das sind die Chords. Das schwarze Original.«
    Sie wandte sich ihm zu und sagte: »Glaubst du, es schert mich einen verdammten Scheißdreck, wer da im Radio singt, nachdem ich acht Stunden gearbeitet und weitere fünf auf dich gewartet habe? Und du um Viertel vor elf endlich auf kreuzt, mit einem Grinsen auf dem Gesicht und einem Bier in der Hand und einer Story darüber, wie irgendein toter Dichter dir letztlich wichtiger war als ich?«
    Das Grinsen auf seinem Gesicht war noch da, aber es wurde kleiner, verblasste, bis es kaum mehr war als ein leicht hochgezogener Mundwinkel und ein flaches Grübchen. Unterdessen traten ihm Tränen in die Augen. Die einsame ängstliche Stimme versuchte erneut, sie zu warnen, aber Lisey ignorierte sie. Diesmal würde es kein Pardon geben. Sie liebte ihn. Das verblassende Grinsen und der zunehmende Schmerz in seinem Blick zeigten ihr, dass auch er sie liebte – und zwar mehr, als sie vermutet hatte. Ihr war bewusst, dass ihr das noch mehr Macht verlieh, ihn zu verwunden. Sie würde nie einen Mann finden, der offener oder verwundbarer war als dieser hier und jetzt.
    Als sie später an der Hintertür steht und darauf wartet, dass er zurückkommt, kann sie sich nicht mehr an all die Dinge erinnern, die sie gesagt hat; sie weiß nur, dass sie bei allem noch eins draufgesetzt hat, von Mal zu Mal mehr darauf aus, ihn zu verletzen. Und irgendwann mittendrin stellte sie fest, dass sie wie Darla in ihrer schlimmsten Art keifte – nur eine überhebliche Debusher mehr –, inzwischen hatte sein Lächeln sich gänzlich verloren. Er betrachtete sie ernst, und sie er schrak darüber, wie riesig seine Augen waren: durch die auf ihrer Oberfläche glänzende Feuchte unnatürlich vergrößert, bis sie sein Gesicht aufzuzehren schienen. Sie

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