Love
Witz: He, Bedienung, bringen Sie mir das Schäfer-Tagesge richt, ein Stück Mutterschaf in weißer Soße. Hier war sie also, saß in einem klumpigen Sessel aus dem Secondhandladen, hatte am unteren Ende wehe Füße und am oberen hämmern de Kopfschmerzen, während sich im Fernsehen – mit Schnee auf dem Bildschirm, weil der Empfang mit der Zimmerantenne aus dem K-Mart beschissen war – eine Hyäne über ein totes Kaninchen hermachte. Lisey Debusher, Königin der Welt, mitten in ihrem glanzvollen Leben.
Aber als die Zeiger die Zehn-Uhr-Marke passierten, hatte sie da nicht trotzdem ein gewisses karges, verworrenes Glück heranschleichen gespürt? Während Lisey jetzt besorgt über den im Dunkeln liegenden Rasen starrt, denkt sie, dass die Antwort »ja« lautet. Sie weiß es. Denn als sie mit ihren Kopf schmerzen und einem Glas herben Rotwein dasaß und der Hyäne zusah, wie sie das Kaninchen fraß, während die Stim me aus dem Off sie informierte: »Das Raubtier weiß, dass es vielleicht viele Tage lang nichts so Gutes mehr zu fressen bekommen wird«, war Lisey sich ziemlich sicher, dass sie ihn liebte und Dinge wusste, die ihn verletzen konnten.
Dass er sie seinerseits liebte? Gehörte das zu diesen Dingen?
Ja, aber in diesem Zusammenhang war seine Liebe zu ihr sekundär. Worauf es hier ankam, war die Art und Weise, wie sie ihn sah: absolut nüchtern. Seine anderen Freunde sahen sein Talent und ließen sich davon blenden. Sie sah, wie er manchmal kämpfen musste, um Fremden in die Augen sehen zu können. Ihr wurde klar, dass sie ihn trotz seines ganzen cleveren (und manchmal brillanten) Geredes, trotz seiner zwei veröffentlichten Romane, schlimm verletzen konnte, wenn sie es darauf anlegte. Er forderte einen Nackenschlag des Schicksals geradezu heraus, wie ihr Dad gesagt hätte. Das hatte er sein ganzes verzaubertes beschissenes Leben lang getan. Aber heute würde der Zauber gebrochen werden. Und wer würde ihn brechen? Sie natürlich.
Little Lisey.
Sie hatte den Fernseher ausgeschaltet, war mit ihrem Glas in die Küche gegangen und hatte den Wein in die Spüle gekippt. Sie wollte ihn nicht mehr. Inzwischen schmeckte er nicht mehr herb, sondern sauer. Du machst ihn sauer, dachte sie. Weil du selbst stinksauer bist . Daran zweifelte sie nicht. Auf der Fensterbank über dem Spülbecken steht ein altes Radio, ein altes Philco mit einem Sprung im Gehäuse, das ge rade so eben auf die Fensterbank passt. Es hat Daddy gehört; er hatte es draußen in der Scheune stehen, um bei der Arbeit Unterhaltung zu haben. Es ist das einzige Andenken an ihn, das Lisey noch besitzt, und sie lässt es auf der Fensterbank stehen, weil es nur dort Lokalsender empfängt. Jodotha hat es ihm einmal zu Weihnachten geschenkt, es war schon damals gebraucht, aber als er sein Geschenk auspackte und sah, was es war, konnte er sich vor lauter Grinsen gar nicht wieder einkriegen, und wie er sich bei ihr bedankt hat! Wieder und wieder! Es war immer Jodi, die sein Liebling war, und es war auch Jodi, die eines Sonntags beim Mittagessen ihren Eltern mit teilte – Teufel, ihnen allen mitteilte –, dass sie schwanger war und der Kindsvater abgehauen und zur Navy gegangen war. Sie wollte wissen, ob sie vielleicht bei Tante Cynthia oben in Wolfboro, New Hampshire, unterkommen könnte, bis das Baby zur Adoption angeboten wurde – so drückte Jodi es aus, als spräche sie von einem Flohmarktartikel. Ihre Mitteilung hatte ungewohntes Schweigen am Esstisch ausgelöst. Soweit Lisey sich erinnern konnte, war dies eines der wenigen Male gewesen – in Liseys Erinnerung vielleicht das einzige Mal –, dass sogar das ständige Geklapper von Besteck auf Porzellan, während sieben hungrige Debushers den Sonntagsbraten ver tilgten, verstummt war. Schließlich hatte Good Ma gefragt: Hast du mit Gott darüber gesprochen, Jodotha? Und Jodi hat te pampig erwidert: Ich bin wegen Don Cloutier in anderen Umständen, nicht wegen Gott. Das war der Augenblick, in dem Dad dem Tisch und seiner Lieblingstochter wortlos und ohne einen einzigen Blick zurück den Rücken kehrte. Kurz danach hatte Lisey sein Radio in der Scheune gehört, ganz leise. Drei Wochen später hatte er den ersten seiner Schlagan fälle erlitten. Inzwischen ist Jodi fort (allerdings noch nicht in Miami, das liegt noch viele Jahre in der Zukunft), und es ist Lisey, die die Hauptlast von Darlas empörten Anrufen zu tragen hat, die kleine Lisey, und weshalb? Weil Canty auf Darlas Seite steht und beide
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