Love
will?
»Scott?« Sie tastet den Fußboden ab, hebt ihre Timex auf und starrt sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Es ist Viertel nach vier in der Nacht!« Sie klingt ärgerlich, aufge bracht, weil sie beides ist, aber sie hat auch Angst.
»Lisey, wir sollten uns ein richtiges Haus zulegen. Es kau fen.« Er schüttelt den Kopf. »O nein, falsche Reihenfolge. Ich denke, wir sollten heiraten.«
Erleichterung durchflutet sie, und sie sackt zurück. Die Armbanduhr fällt aus ihren erschlaffenden Fingern und scheppert auf den Fußboden. Macht nichts; Timex-Uhren vertragen einen derben Aufprall, sie ticken ungerührt weiter. Auf die Erleichterung folgt Staunen: Ihr wurde soeben ein Heiratsantrag gemacht – wie einer Dame in einem Liebesroman. Und nach dem Staunen bricht eine kleine Woge roten Entsetzens über sie herein. Der Kerl, der ihr den Antrag gemacht hat (wohlgemerkt nachts um Viertel nach vier), ist derselbe Kerl, der sie gestern Abend versetzt und dann absichtlich seine Hand übel zugerichtet hat, nachdem sie ihn wegen des Zuspätkommens (und wegen ein paar anderer Dinge, okay, okay) angeschrien hatte, und der dann über den Rasen heraufgekommen ist, um ihr die verletzte Hand wie irgendein verdammtes Weihnachtsgeschenk zu präsentieren. Dies ist der Mann mit dem toten Bruder, von dem sie erst seit heute Nacht weiß, und der toten Mutter, die er angeblich deshalb auf dem Gewissen hat, weil er – wie hat der große Schriftsteller es ausgedrückt? – eine Schlafmütze und viel zu
groß war.
»Lisey?«
»Halt die Klappe, Scott, ich muss nachdenken.« Oh, aber das ist so verdammt schwierig, wenn der Mond untergegangen und die Stunde ungewiss ist – ganz gleich, was ihre treue Timex anzeigen mag.
»Ich liebe dich«, sagt er sanft.
»Ja, ich weiß. Ich liebe dich auch. Das ist nicht der ent scheidende Punkt.«
»Vielleicht doch«, sagt er. »Dass du mich liebst, meine ich. Genau das könnte der entscheidende Punkt sein. Seit Paul hat mich niemand mehr geliebt.« Eine lange Pause. »Und seit Daddy, nehme ich an.«
Sie stützt sich auf einen Ellbogen. »Scott, viele Leute lieben dich. Wenn du aus deinem letzten Buch liest – und dem, das du gerade schreibst …« Sie rümpft leicht die Nase. Sein neuer Roman heißt Empty Devils, und was sie davon gelesen oder ihn vortragen gehört hat, hat ihr nicht gefallen. »Zu deiner Lesung sind fast fünfhundert Leute gekommen! Sie musste von der Maine Lounge ins Hauck Auditorium verlegt werden! Und zum Schluss gab's Standing Ovations!«
»Das ist keine Liebe«, wehrt er ab, »das ist Neugier. Und ganz unter uns gesagt: Das ist Zeug aus dem Monstrositä tenkabinett. Wer seinen ersten Roman mit einundzwanzig veröffentlicht, erfährt alles über Zeug aus dem Monstrosi tätenkabinett, selbst wenn der verdammte Schmöker nur von Bibliotheken gekauft wird und nicht mal als Taschen buch erscheint. Aber dir ist dieser Wunderkindscheiß egal, Lisey …«
»Ist er nicht.« Inzwischen ist sie ganz wach, zumindest bei nahe.
»Ja, aber … gib mir 'ne Zigarette, Babylove.« Seine Zigaret ten sind auf dem Fußboden, in dem Schildkrötenaschenbe cher, den sie für ihn bereithält. Sie stellt ihm den Aschenbe cher hin, steckt ihm eine Zigarette zwischen die Lippen und gibt ihm Feuer. Im Dunkeln ist der Geruch von Tabakrauch süß. »Aber du kümmerst dich auch darum, ob ich mir die Zäh ne putze …«
»Nun, okay …«
»Und ob das Shampoo, das ich benutze, gegen meine Schup pen hilft oder sie nur schlimmer macht …«
Das erinnert sie an etwas. »Ich habe eine Flasche von die sem Tegrin gekauft, von dem ich dir erzählt habe. Sie steht in der Dusche. Ich möchte, dass du das Zeug ausprobierst.«
Er prustet vor Lachen. »Siehst du? Siehst du? Ein perfektes Beispiel. Du tendierst zur holistischen Betrachtungsweise.«
»Dieses Wort kenne ich nicht«, sagt sie stirnrunzelnd.
Er drückt seine erst zu einem Viertel gerauchte Zigarette aus. »Es bedeutet, dass du mich von oben bis unten, von einer Seite bis zur anderen siehst, wenn du mich betrachtest, und dir alles gleich wichtig erscheint.«
Sie denkt darüber nach, dann nickt sie. »Klar, das stimmt wohl.«
»Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet. Ich habe eine Kindheit hinter mir, in der ich nur … in der ich nur eine einzi ge Sache war. In den vergangenen sechs Jahren bin ich eine andere gewesen. Eine etwas bessere Sache, trotzdem ist Scott Landon für die meisten Leute hier und an der Pitt nur eine … eine heilige
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