Love
Zuneigungsbekundung sah ihrer älteren Schwester trotzdem nicht ähnlich.
»Willst du das wirklich, Darl?«
Darla nickte heftig, wollte etwas sagen und begnügte sich dann damit, sich erneut übers Gesicht zu fahren.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Darla begann zu nicken, dann schüttelte sie den Kopf. »Neue Koffer!«, rief sie aus. »Was für ein Witz! Glaubst du, dass sie jemals neue Koffer brauchen wird? Du hast gehört, was er gesagt hat – keine Reaktion auf Fingerschnippen, kei ne Reaktion auf Klatschen, keine Reaktion auf Nadelstiche! Ich weiß, wie das Pflegepersonal Leute wie sie nennt: Zom bies, und mir ist scheißegal, was er von Therapie und Wun derdrogen faselt – wenn sie jemals wieder zu sich kommt, ist es ein blauäugiges Wunder!«
Wie man so schön sagt, dachte Lisey und lächelte … aber nur innerlich, da, wo Lächeln ungefährlich war. Sie führte ihre müde, leicht weinerliche Schwester die kurze, steile Dachbo dentreppe hinunter und aus der größten Hitze heraus. Anstatt ihr anschließend zu erklären, wo Leben sei, gebe es noch Hoffnung, oder sie solle es machen wie die Sonnenuhr oder am dunkelsten sei es immer kurz vor Tagesanbruch oder was sonst noch vor Kurzem aus einem Hundearsch gefallen sein mochte, hielt sie ihre Schwester einfach nur umarmt. Weil manchmal eine einfache Umarmung des Beste war. Das gehörte zu den Dingen, die sie den Mann gelehrt hatte, dessen Familiennamen sie als ihren eigenen angenommen hatte – dass Schweigen manchmal am besten war; manchmal war es am besten, einfach seinen Lästerrand zu halten und bloß nicht loszulassen, bloß nicht loszulassen, bloß nicht loszulassen.
1O Lisey fragte Darla erneut, ob sie ihr auf der Rückfahrt nach Greenlawn nicht Gesellschaft leisten solle, aber Darla schüttelte den Kopf. Sie habe einen alten Roman von Michael Noonan auf Kassetten, sagte sie, und dies sei eine gute Ge legenheit, sich da reinzugraben. Unterdessen hatte sich Darla in Amandas Bad das Gesicht gewaschen, ihr Make-up erneu ert und die Haare im Nacken zusammengefasst. Sie sah gut aus, und eine Frau, die gut aussah, fühlte sich ihrer Erfahrung nach meistens auch so. Also drückte Lisey ihr kurz die Hand, ermahnte sie, vorsichtig zu fahren, und blickte ihr hinterher, bis sie außer Sicht kam. Danach machte sie langsam einen Rundgang durch und um Amandas Haus, erst innen, dann außen, und überzeugte sich davon, dass alles geschlossen und abgesperrt war: Fenster, Türen, Kellerabgang, Garage. Zwei der Garagenfenster ließ sie gekippt, damit es keinen Hitze-stau gab. Das hatte Scott ihr beigebracht, eine Sache, die er von seinem Vater, dem schrecklichen Sparky Landon, gelernt hatte … wie er von ihm auch lesen gelernt hatte (im frühreifen Alter von zwei Jahren) oder auf der kleinen Tafel in der Küche neben dem Herd zu rechnen oder mit dem Schrei Geronimo! vom Dielentisch zu springen … und natürlich alles über Blut-Bools.
»Bool-Stationen – wie Kreuzwegstationen, denke ich.«
Sagt es und lacht. Es ist ein nervöses Lachen, ein verstoh lenes Ich-sehe-lieber-mal-über-meine-Schulter-Lachen. Ein Kinderlachen über einen schmutzigen Witz.
»Ja, genau so«, murmelte Lisey und erschauderte trotz der Spätnachmittagshitze. Wie all diese alten Erinnerungen in der Gegenwartsform an die Oberfläche sprudelten, war beunruhi gend. Als wäre die Vergangenheit nie gestorben; als ereignete sich alles auf irgendeiner Ebene des großen Zeitturms noch jetzt.
Das ist eine ungute Denkweise; wer so denkt, endet im Bös müll.
» Das bezweifle ich nicht«, sagte Lisey und lachte ihrerseits nervös. Sie ging mit Amandas Schlüsselring – überraschend schwer, schwerer als ihr eigener, obwohl Liseys Haus weit größer war – über dem rechten Zeigefinger zu ihrem Wagen, und sie hatte das Gefühl, bereits tief im Bösmüll zu stecken. Amanda in der Klapsmühle war nur der Anfang. Dazu kamen »Zack McCool« und Professor Woodbody, dieser abscheuliche Inkunk. Die Ereignisse des Tages hatten die beiden in den Hintergrund gedrängt, aber das bedeutete leider nicht, dass sie aufgehört hatten zu existieren. Lisey fühlte sich zu müde und entmutigt, um es heute Abend mit Woodbody aufzu nehmen, sogar zu müde und entmutigt, um ihn in seinem Schlupfwinkel aufzuspüren … aber sie hielt es trotzdem für ratsam, das zu tun, wenn auch nur, weil sich ihr Telefonpart ner »Zack« angehört hatte, als könnte er wirklich gefährlich sein.
Sie stieg in ihren Wagen, legte Big Sissa
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