Love
wegen unserer weißen Bettwäsche und mit dem wei ßen Krankenhausnachthemd, das er trägt …« Die junge Schwester beruhigt sich allmählich. Sie will es glauben, und Lisey bezweifelt nicht, dass sie es geglaubt hat, während Scott mit ihr gesprochen und mit seinen glänzenden haselnuss braunen Augen zu ihr aufgesehen hat, aber jetzt beginnt sie die Absurdität zu spüren, die dicht unter dem lauert, was sie gesagt hat.
Lisey greift rasch ein, gibt ihr Hilfestellung. »Und er hat eine Art, so still zu sein«, sagt sie, obwohl Scott so ziemlich der nervöseste Mann ist, den sie kennt. Sogar wenn er ein Buch liest, rutscht er ständig im Sessel hin und her, kaut auf seinen Fingernägeln herum (eine Angewohnheit, die er sich wegen ihrer Vorhaltungen kurzzeitig abgewöhnt hat), kratzt sich die Arme wie ein Junkie, der einen Schuss braucht, und macht manchmal sogar kleine Übungen mit den kleinen zwei Kilo schweren Kurzhanteln, die er immer unter seinem Lieb lingssessel liegen hat. Wirklich still kennt sie ihn nur, wenn er schläft oder beim Schreiben außergewöhnlich gut voran kommt. Aber die Schwester macht noch immer ein zweifeln des Gesicht, deshalb spricht Lisey rasch weiter – in einem gespielt fröhlichen Ton, der in ihren eigenen Ohren grässlich falsch klingt. »Manchmal, ich schwör's Ihnen, ist er wie ein Möbelstück. Ich bin selbst schon oft an ihm vorbeigelaufen.« Sie berührt die Krankenschwester beschwichtigend an einer Hand. »So muss es auch bei Ihnen gewesen sein.«
Das glaubt sie zwar selbst nicht, aber die Schwester lächelt ihr dankbar zu, und damit ist das Thema von Scotts Abwe senheit erledigt. Oder wir scheiden es aus, denkt Lisey. Wie einen kleinen Nierenstein.
»Ihm geht es heute schon so viel besser«, berichtet die Schwester. »Dr. Wendlestadt war früh zur Morgenvisite da, und er war total verblüfft.«
Das kann Lisey sich vorstellen. Und sie erklärt der Kran kenschwester, was Scott ihr vor all diesen Jahren in ihrem Apartment in Cleaves Mills erklärt hat. Damals hat sie ange nommen, es wäre nur irgendeine Redensart, aber jetzt glaubt sie daran. O ja, jetzt glaubt sie es hundertprozentig.
»Alle Landons besitzen erstaunliche Wundheilkräfte«, sagt sie und geht dann hinein, um ihren Mann zu besuchen.
15 Scott liegt mit geschlossenen Augen und zur Seite gedrehtem Kopf da: ein sehr weißer Mann in einem sehr wei ßen Bett – so viel ist jedenfalls wahr –, aber es ist unmög lich, diesen schulterlangen dunklen Haarschopf zu überse hen. Der Stuhl, auf dem sie gestern Abend gesessen hat, steht noch am selben Platz, und sie setzt sich wieder an sein Bett. Sie holt ihr Buch heraus – Die Insel der fünf Frauen von Shirley Conran. Als sie das Zündholzbriefchen, das sie als Lesezeichen benutzt, herausnimmt, fühlt sie Scotts Blick auf sich und sieht auf.
»Wie geht's dir heute Morgen, Liebster?«, fragt sie ihn.
Er sagt lange nichts. Sein Atem keucht, aber er kreischt nicht mehr wie auf dem Parkplatz, als er dagelegen und um Eis gebettelt hat. Ihm geht's wirklich besser, denkt sie. Dann bewegt er mit sichtlicher Anstrengung eine Hand, bis sie auf ihrer liegt. Er drückt sie leicht. Seine Lippen (die schrecklich trocken aussehen, sie muss ihm Carmex oder einen Pflegestift kaufen) verziehen sich zu einem Lächeln.
»Lisey«, flüstert er. »Little Lisey.«
Er schläft wieder ein, während seine Hand noch ihre be deckt, aber das stört Lisey nicht im Geringsten. Sie kann ihr Buch auch mit einer Hand umblättern.
16 Lisey räkelte sich wie eine Frau, die aus einem Nicker chen erwacht, warf einen Blick aus dem linken Fenster ihres BMW und sah, dass sein Schatten auf Mr. Patels sauberem schwarzem Asphalt merklich länger geworden war. In ihrem Aschenbecher lagen jetzt nicht zwei, sondern drei Zigaretten stummel. Sie sah nach vorn durch die Windschutzscheibe und bemerkte, dass sie aus einem der kleinen Fenster in der Rückwand des Supermarkts, wo das Lager sein musste, von einem Augenpaar angestarrt wurde. Das Gesicht verschwand, bevor sie erkennen konnte, ob es Mr. Patels Frau oder eine seiner beiden halbwüchsigen Töchter gewesen war, aber sie hatte noch Zeit, den Ausdruck wahrzunehmen: Neugier oder Sorge. Jedenfalls wurde es Zeit, weiterzufahren. Lisey stieß rückwärts aus der Parklücke, war froh, dass sie wenigstens ihre Zigaretten im eigenen Aschenbecher ausgedrückt hatte, statt sie auf diesen unheimlich sauberen Asphalt zu werfen, und fuhr in Richtung Sugar Top Hill
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