Lovesong
dafür hassen, dass ich dich beim Wort genommen habe.«
Mia heult jetzt wie ein Schlosshund. Und ich schäme mich zutiefst, weil ich sie so weit gebracht habe.
Doch plötzlich verstehe ich. Ich weiß jetzt, weshalb sie mich dort in dem Konzertsaal zu sich hat rufen lassen, weshalb sie hinter mir her ist, nachdem ich ihre Garderobe verlassen hatte. Darum also geht es in ihrer Abschiedstour in Wirklichkeit – Mia will die Trennung endlich perfekt machen, die sie vor drei Jahren begonnen hat.
Loslassen. Jeder spricht davon, als wäre es die einfachste Sache der Welt. Lockere einfach einen Finger nach dem anderen, bis die Hand sich öffnet. Doch meine Hand habe ich jetzt schon seit drei Jahren zur Faust geballt; sie ist richtiggehend erstarrt. Alles an mir scheint erstarrt. Und bald schließen sich bei mir sämtliche Schotten.
Ich starre hinab auf das Wasser. Vor einer Minute noch war die Oberfläche unbewegt und klar, doch jetzt fängt der Fluss an, sich zu öffnen, bildet Strudel, wird zu einem gefährlichen Whirlpool. Es ist dieser Strudel, der wieder einmal droht, mich bei lebendigem Leib zu verschlingen. Ich werde ertrinken darin, und keiner, keiner wird mir zur Seite stehen dort in der Finsternis.
Ich habe ihr die Schuld an allem gegeben, daran, dass sie mich verlassen hat, daran, dass sie ein Wrack aus mir gemacht hat. Und vielleicht war das der winzige Samen, aus dem dann nach und nach dieses schreckliche Gewächs von einer Pflanze geworden ist. Und ich bin derjenige, der diese Pflanze nährt. Ich wässere sie. Ich hege und pflege sie. Ich nasche von ihren giftigen Beeren. Ich lasse zu, dass sie ihre Tentakel um meinen Nacken schlingt und mir die Luft raubt, mich erstickt. Ich habe das getan. Ganz allein. Und mir allein habe ich das angetan.
Ich sehe hinaus auf den Fluss. Mir kommt es so vor, als wären die Wellen, die nach mir schnappen und versuchen, mich über das Geländer hinab in die Tiefe zu ziehen, hundertfünfzig Meter hoch.
»Ich halte das nicht länger aus!«, schreie ich, als die mordlüsternen Wellen kommen, um mich zu holen.
Noch einmal schreie ich. »Ich halte das nicht länger aus!« Ich brülle es den Wellen entgegen, und Liz und Fitzy und Mike und Aldous, den Labelleuten und Bryn und Vanessa und den Paparazzi und den Mädchen in ihren Collegesweatern und den Szeneleuten in der U-Bahn und allen, die ein Stück von mir wollen, obwohl doch gar nicht mehr genug von mir übrig ist. Doch vor allen Dingen brülle ich es mir selbst entgegen.
» ICH HALTE DAS NICHT LÄNGER AUS !«, schreie ich lauter als je zuvor in meinem Leben, so laut, dass mein Atem wahrscheinlich die Bäume in ganz Manhattan umsäbeln könnte. Zumindest scheint es mir so. Und während ich gegen die unsichtbaren Wellen und die nicht vorhandenen Strudel und die Dämonen, die nur allzu real sind und die ich selbst gerufen habe, ankämpfe, spüre ich plötzlich, wie sich etwas in meiner Brust öffnet, ein Gefühl, das so intensiv ist, dass es sich anfühlt, als würde mein Herz gleich zerspringen. Und ich lasse es einfach geschehen. Ich lasse es protestlos zu.
Als ich aufsehe, ist der Fluss wieder ein gewöhnlicher Fluss. Und meine Hände, die sich soeben noch an das Geländer geklammert haben, und zwar so fest, dass die Knöchel weiß hervorstachen, haben losgelassen.
Mia entfernt sich von mir, sie geht auf die andere Seite der Brücke zu. Ohne mich.
Ich habe verstanden.
Ich muss mein Versprechen einlösen. Sie gehen lassen. Ich muss sie wahrhaftig gehen lassen. Muss mich von uns beiden verabschieden.
17
Ich fing in meiner ersten Band Infinity 89 an zu spielen, als ich vierzehn war. Unseren ersten Auftritt hatten wir bei einer Privatparty in der Nähe des College-Campus. Alle drei Mitglieder der Band – ich an der Gitarre, mein Freund Nate am Bass und dessen älterer Bruder Jonah am Schlagzeug – waren echt grottenschlecht. Keiner von uns hatte viel Übung mit seinem Instrument gehabt, und nach dem Gig fanden wir heraus, dass Jonah den Gastgeber der Party bestochen hatte, damit er uns spielen ließ. Kaum einer weiß es, aber Adam Wildes erster Versuch, vor einem Publikum zu rocken, ist allein der Tatsache zu verdanken, dass Jonah Hamilton ein Fass Bier gespendet hat.
Und dieses Fass sollte letzten Endes auch das Beste an der ganzen Show sein. Wir waren dermaßen nervös, dass wir die Verstärker viel zu laut aufdrehten, nervtötende Rückkopplungen erzeugten, sodass die Nachbarn sich beschwerten, und dann
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