Luc - Fesseln der Vergangenheit
Hier gab’s doch gar nichts zu finden.« Mit einem gezielten Schlag löste sie die Rückwand einer umgestürzten Kommode aus der Verankerung und zerrte aus dem Hohlraum einen vollgepackten Rucksack. »Ich habe alles. Wir können los.«
Scott sah beeindruckt aus, sprach jedoch schon wieder in das Mikro. »Jungs? Wie sieht’s bei euch aus?«
Statt Luc antwortete Chris. »Der Wagen ist präpariert. Die Typen stehen vor der Tür und überlegen, ob sie reingehen oder nicht.«
»Dann nehmen wir ihnen die Entscheidung ab, indem wir uns auf den Rückweg machen. Weiter wie besprochen.«
Das bedeutete dann, dass Luc und Azad ihre Rückendeckung übernahmen, falls sie es benötigten, und dass Chris und Timothy die Lage aus sicherer Entfernung beobachten würden. Jasmin atmete einmal tief durch, dann fühlte sie sich für die anstehende Konfrontation gewappnet. Ein letzter Check, ob ihre Pistole durchgeladen war, und sie nickte Scott zu. »Ich gehe vor.«
Den Rucksack in der rechten Hand stürmte sie die Treppe hinunter. Ihr Auftauchen und ihre Geschwindigkeit ließen den Mann, der unten stand, erschrocken zurückweichen. Jasmin half seiner Bewegung nach, indem sie ihm den Rucksack gegen den Kopf knallte und sich unter dem Arm des anderen Mannes, der nach ihr griff, hinwegduckte. Dann war Scott an ihrer Seite und schickte den zweiten mit einem klassischen Kinnhaken zu Boden. Das verschaffte ihnen genug Vorsprung, um ungehindert zum Wagen zu gelangen und sich mit Vollgas zu entfernen. Dieses Mal verzichtete Jasmin auf eine Diskussion und überließ Scott bereitwillig den Fahrersitz.
»Bericht«, forderte Scott über das Headset.
»Sie lecken ihre Wunden, gucken ratlos die Straße entlang und trotten jetzt zu ihrem Wagen.«
Chris’ Beschreibung brachte Jasmin zum Schmunzeln. »Das war einfach.«
Scott stimmte ihrer Zusammenfassung mit einem Brummen zu. »Alles wie geplant, aber so wird es nicht immer laufen. Ich bin gespannt, wo sie hinfahren.«
Eine Stunde später verfolgte Luc auf dem Display seines Notebooks einen blinkenden Punkt, der sich in westlicher Richtung von Kunduz entfernte. Er kratzte sich beiläufig am Kinn und warf Scott einen fragenden Blick zu, den dieser mit einem Nicken beantwortete. Ungeduldig schnaubte Jasmin. »Übersetzt ihr das bitte für mich? Das sieht aus, als ob die nach Mazar el-Sharif unterwegs sind. Es ist doch Irrsinn, so eine Tour bei Dunkelheit zu unternehmen.«
Jetzt nickte auch Luc. »Stimmt. Darum werden wir ihnen auch erst morgen folgen.«
»Aber … «, begann Jasmin und verstummte dann. Es wäre Selbstmord gewesen, den Wagen nachts zu verfolgen. »Schon gut. Du hast mich überzeugt.«
»Gut. Dann machen wir jetzt Schluss. Wir beobachten die Fahrt weiter.«
»Ich kann auch eine Wache übernehmen.«
Ohne Vorwarnung ragte Timothy neben ihr auf. »Du hast heute genug durchgemacht und brauchst Ruhe. Hast du das verstanden, Luc?«
Gähnend versuchte Jasmin den Blickkontakt der Männer zu interpretieren. »Wieso sagst du ihm das?«
»Darauf würdest du alleine kommen, wenn du nicht so fertig wärst. Und trink noch eine von diesen Vitaminmischungen. Dein Körper hat noch einen Rest von dem Zeug intus, das Meltons Männer dir verpasst haben. Und jetzt ab mit dir ins Bett.«
»Ich bin doch kein kleines Kind.« Ihre Beschwerde führte dank eines erneuten Gähnens lediglich zu wissenden Blicken. Sie gab auf, erhob sich und gähnte erneut.
Luc stand ebenfalls auf. »Ich übernehme die zweite Schicht. Weckt mich, wenn sich was ergibt.«
Jasmin fiel plötzlich der Bettpfosten wieder ein, den sie als Waffe benutzt hatte. »Ich wollte Azad noch wegen des Bettes ansprechen. Es ist großzügig genug, dass er euch die Wohnung zur Verfügung stellt, da muss ich nicht noch sein Mobiliar auseinandernehmen.«
»Das habe ich schon geregelt.«
Ihr erster Impuls war es, empört aufzubegehren, aber sie schluckte den Protest hinunter. Die letzten Jahre hatte sie sich nur auf sich selbst verlassen können, so dass es ungewohnt war, dass jemand ihr half oder für sie sorgte. Trotzdem war sie nicht der Typ, der andere für sich zahlen ließ. »Dann werde ich dir den Schaden ersetzen.«
Zuvorkommend hielt Luc ihr die Tür auf. Die Geste passte allerdings nicht zu seinem genervten Gesichtsausdruck. »Das hier ist nur eine von vielen Wohnungen oder Häusern, die Azads Familie gehören, er hat also Geld genug und wollte keine Entschädigung. Außerdem hat Timothy das Ding schon wieder repariert. Ist
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