Luc - Fesseln der Vergangenheit
hättest mir deshalb die Chance zur Vermittlung geben müssen. Es hätte sonst was passieren können und das wäre dann deine Schuld gewesen. Wie kann man nur so stur sein?«
Wieder fuhr ihr Zeigefinger drohend durch die Luft. Aber vermutlich war es der falsche Zeitpunkt, um sie damit aufzuziehen, dass sie ihn damit an seine alte Deutschlehrerin erinnerte. »Ich bin nicht stur, Jamila. Und jetzt beruhige dich bitte. Das war eine Sache, die Hamid und ich direkt klären mussten. Wie soll ich ihm oder er mir vertrauen, wenn wir das Gefühl haben, nur deinetwegen miteinander zu reden? Als wir uns geeinigt haben, wusste er noch nichts von deiner Anwesenheit. Bewerte selbst, wo wir damit stehen und wo wir sonst gestanden hätten.«
Überzeugt wirkte Jasmin nicht, aber sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und verzichtete auf weitere Attacken mit ihrem Zeigefinger. »Typische männliche Logik. Aber jetzt ist es sowieso zu spät. Du hättest mir sagen können, was du vorhattest.«
Allmählich reichte es Luc. »Sorry, Jamila. Ich bin es nicht gewohnt, meine Entscheidungen zu diskutieren und zu begründen. Und wenn ich es mir recht überlege, fehlt mir dazu auch die Zeit und die Lust.«
Nur am Rande hatte Luc mitbekommen, dass zwei Fahrzeuge eingetroffen waren. Als er sich jetzt umdrehte, um Jasmin stehen zu lassen, stieß er beinahe mit Hamid zusammen. Die Miene des Afghanen war eine Kopie von Scotts Gesichtsausdruck. Beide Männer schienen sich ein Lachen nur mühsam verkneifen zu können, aber Luc ging nicht darauf ein. »Scott, das ist Hamid. Und andersrum. Scott ist nicht nur mein Freund, sondern auch mein Stellvertreter im Team.« Tief durchatmend suchte er nach einer vernünftigen Überleitung. »Himmel, sie macht mich wahnsinnig«, platzte er stattdessen zusammenhanglos heraus und brachte zumindest Scott nun doch zum Lachen.
Wenigstens hatte er so für eine gewisse Entspannung gesorgt. Mit einer herzlichen Umarmung begrüßte Hamid Jasmin, die nach sichtlicher Freude über das Wiedersehen deutlich zurückhaltender reagierte. Hamid ließ sich davon nicht beirren. »Wir reden möglichst schnell in Ruhe miteinander. Nicht hier und nicht jetzt. Für uns bist du unsere Schwester und daran hat sich nichts geändert.«
Es war Jasmin anzumerken, wie schwer es ihr fiel, sich mit Fragen zurückzuhalten. Zögernd nickte sie. Nach einer überaus kurzen Vorstellung der restlichen Männer war von Jasmins Stimmung nichts mehr zu spüren. Sie überfiel Murat mit Fragen nach seiner Tochter, die er bereitwillig beantwortete.
Chris und Timothy ließen die Afghanen zwar nicht aus den Augen, wirkten dabei aber eher neugierig als besorgt. Luc war Hamid dankbar, dass der sich auf die Begleitung durch zwei seiner Männer beschränkt hatte. Neben Murat stand der Blonde, der Luc bereits in dem Dorf aufgefallen war.
»Seht euch in Ruhe drinnen um. Ich bleibe draußen.« Scotts Angebot entsprach exakt Lucs Vorstellungen. »Nur eine Frage, Luc. Ist Murat der Vater von dem Mädchen, das … verletzt wurde?«
»Ja.«
»Dachte ich mir.«
Scott hatte die Unterhaltung zwischen Jasmin und Murat aufmerksam verfolgt, obwohl er kein Paschtu sprach und nur wenig verstanden haben konnte. Grausamkeiten gegenüber Kindern trafen den Texaner, der häufig so hartgesotten wirkte. Auch wenn Murat es nicht ahnen konnte, hatte er in Scott einen Freund gefunden.
Hamid hatte ihr kurzes Gespräch ohne Gefühlsregung verfolgt, aber Luc war sicher, dass der Afghane perfekt Englisch sprach. »Komm mit. Ich zeige dir die Stelle. Vielleicht finden wir noch mehr. Vorhin wurden wir durch euer Auftauchen ziemlich abrupt unterbrochen.«
Kaum hatten sie den Raum betreten, erschien auch Jasmin, zögerte aber, bis Luc ihr signalisierte, zu ihnen zu kommen. »Ich könnte mir vorstellen, dass dein Bruder sich gegen die Wand gelehnt hat. Mach dir nicht zu viele Sorgen, wenn ich richtigliege, könnte es sich um eine Kopfverletzung handeln. Die bluten meistens stark, müssen aber nicht gefährlich sein. Sieh es dir selbst an. Er könnte mit der rechten Hand die Zeichen in den Boden geschrieben haben.«
Hamid kniete auf dem staubigen Boden nieder und fuhr mit der Hand über die arabischen Schriftzeichen. »Der Abstand kommt hin.« Vorsichtig schob Hamid Staub und Sand zur Seite. Luc kommentierte die Suche nach weiteren Hinweisen nicht, sondern nahm sich die andere Seite des Bodens vor. Plötzlich atmete Hamid scharf ein. »Sieh selbst.«
Dieses Mal hatte Kalil
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