Luc - Fesseln der Vergangenheit
konnte. Selbst im Fieberwahn war er vorsichtig. »Das ist kein Verhör. Ich bin Ärztin und will dir helfen, so gut ich kann. Hier herausbringen kann ich dich nicht, aber dafür sorgen, dass du lebst und deine Kraft zurückgewinnst. Ich will nicht wissen, was du bist, sondern brauche nur einen Namen, mit dem ich dich anreden kann.«
Sein Blick irrte umher, während seine Zähne weiter aufeinanderschlugen. »Luc«, brachte er kaum verständlich hervor.
»In Ordnung, das klingt besser als ›Großer‹. Und jetzt ruh dich aus.« Sie schlang ihre Arme um ihn und schmiegte sich wieder an ihn. Auch ohne Messgeräte spürte sie, wie sein Puls langsamer wurde und seine Atmung regelmäßiger. Luc entspannte sich unter ihrer Berührung, bis sie glaubte, dass er wieder bewusstlos war, aber mit einer letzten Bewegung brachte er seinen Kopf hoch und auf ihrer Brust zum Liegen. Er nuschelte etwas Unverständliches, ehe er endlich einschlief.
Das würde eine verdammt lange und unbequeme Nacht werden, aber Hauptsache, Luc kühlte nicht weiter aus und beruhigte sich. Aufregung war in seinem Zustand Gift und er würde noch jedes Quäntchen Kraft brauchen. Mit einer Hand angelte sie nach der Decke und drapierte sie notdürftig über Luc. Der sanfte Hauch seines Atems strich verführerisch über den dünnen Stoff ihres Hemds und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Medizinische Notwendigkeit hin oder her, ihre Position war entschieden zu intim, aber es gab keinen Ort auf der Welt, an dem sie jetzt lieber wäre. Ein ähnliches Gefühl von Frieden hatte sie bisher nur in der abgelegenen Bergwelt empfunden, aber niemals an der Seite oder in Gesellschaft eines Mannes. Und jetzt das. Vielleicht änderte sich alles, wenn er wieder ansprechbar war. Wer wusste schon, wie er dann war, vermutlich ein Macho, wie er im Buche stand, nur auf den eigenen Vorteil bedacht und durch sein zugegebenermaßen attraktives Aussehen derart von sich selbst überzeugt, dass sie froh war, wenn sie ihn wieder los wäre. Gähnend beendete sie ihre Grübeleien, die sie nicht weiterbringen würden, und schloss die Augen.
4
Allmählich sickerte die Realität in Lucs Bewusstsein und beendete den angenehmen Dämmerzustand. Sofort stürzten Erinnerungsfetzen auf ihn ein. Die Explosion. Scott. Die Schießerei und schließlich die bittere Erkenntnis, dass er Warzai in die Hände gefallen war. Nachdem er keine der auf ihn einprasselnden Fragen beantwortet hatte, war der Mistkerl ungeduldig geworden. Er erinnerte sich dumpf an Schläge und Tritte und dann nur noch an Schmerzen, Durst, Hitze und erstaunlicherweise auch Kälte. Das machte keinen Sinn. Genauso wenig, wie das Bild einer blonden Frau mit grünen Augen. Trotzdem hatte er noch ihre Stimme im Ohr und fühlte ihre sanften Berührungen. Fragen hatte er genug, leider nicht eine Antwort. Gleichmäßig weiteratmend versuchte er, mit geschlossenen Augen seine Umwelt zu erkunden. Es gab keinen Grund, seinen Feinden zu zeigen, dass er wieder wach war. Sie würden ihre nette Behandlung früh genug fortsetzen, darauf konnte er verzichten.
Ein warmer Windhauch strich über seinen nackten Rücken. Das Fehlen jeglichen Lärms, der mittlerweile so typisch für die Zivilisation war, und die klare Luft ließen nur den Schluss zu, dass er sich weiterhin in den Bergen befand. Das war schlecht. Aber erstaunlicherweise fühlte er sich deutlich besser, wenn auch noch weit von seiner Bestform entfernt. Mit Verspätung wurde ihm bewusst, dass er auf etwas Weichem, sehr Lebendigem lag und das auch noch äußerst bequem. Langsam öffnete er die Augen einen Spalt. Zunächst sah er nichts außer einem diffusen Nebel, aus dem sich nur langsam Einzelheiten herauskristallisierten.
Grobe Mauern, medizinische Gegenstände, ein ansonsten fast leerer Raum und dazu ein warmer, wohlgeformter und nur dürftig bekleideter Frauenkörper. Er lag auf der Seite, sein linkes Bein über ihrem, sein Kopf knapp oberhalb ihrer Brust.
Langsam hob er den Kopf. Sofort wühlte Übelkeit in seinem Magen und der Raum begann, sich um ihn zu drehen, aber der flüchtige Blick hatte gereicht. Sie war es, die Frau aus seinen verschwommenen Erinnerungen. Jamila. Hatte er sie wirklich so genannt? Oder war das ihr Name? Passen würde er. Wirre, blonde Strähnen umrahmten feine Gesichtszüge. Die Nase war etwas zu groß, um dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen, passte aber perfekt zu den hohen Wangenknochen und den üppigen Lippen. Wenn seine Erinnerung
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