Luc - Fesseln der Vergangenheit
verstecken. Wenn du mich fragst, geht es ihm um etwas oder jemand anderes.« Luc bekam keine Gelegenheit, auf die unerwartete Eröffnung zu reagieren. Andi deutete auf eine auffällige Felsformation. »Da vorne ist es, du hast es endgültig geschafft.« Unvermittelt stieß der Deutsche einen schrillen Pfiff aus. Aus den Schatten der Felsen lösten sich zwei weitere Schatten. »Alles ruhig?«
Einer der Männer nickte. »Alles klar, Boss. Wir können sofort los, wenn du die Mühle soweit hast.«
Mit einigen Handbewegungen befahl Andi seinen Männern, den Hubschrauber abzusichern, während er die Rotoren warm laufen ließ.
Verblüfft registrierte Luc, dass Andi den Vogel fliegen würde. Mike grinste über sein Staunen und deutete auf den Weg hinter ihnen, auf dem sich jetzt Melton näherte. »Uns reichte schon der Typ da, wenn’s geht, bleiben wir lieber unter uns.«
Wenige Minuten später befanden sie sich in der Luft. Die Sonne kam hinter den Bergen hervor und verwandelte die Felslandschaft in ein gewaltiges Farbenspektakel. Luc wandte den Blick nicht von dem Boden ab. Irgendwo da unten warteten noch einige ungeklärte Dinge auf ihn.
15
Jasmin riss die Fensterläden auf, aber statt der erhofften Abkühlung strömte warme Luft in den Raum, der ihr als Wohnzimmer und Arbeitszimmer diente. So viel zu ihrer Annahme, dass die Temperaturen in den Abendstunden erträglicher wurden. In den Bergen war es zwar auch heiß, aber die Luft dort war viel klarer, vor allem nachts, und es gab dort auch weder übelriechende Abgase noch das Dauergehupe der Autofahrer. Selbst die Taxifahrer in New York brachten es nicht auf die Geräuschkulisse, die in Kunduz zum Stadtbild gehörte. Statt Verkehrsregeln oder Ampeln galt hier das Recht des Stärkeren, das sich übers Tempo und die Lautstärke der Hupe definierte. Jasmin hatte sich schon lange an die Fahrweise gewöhnt und hielt mit ihrem Range Rover mühelos mit, obwohl sie im Gegensatz zu den einheimischen Fahrern nach wie vor für Eselkarren oder die allgegenwärtigen motorisierten Dreiräder bremste, statt darauf zu vertrauen, dass diese ihr rechtzeitig auswichen. Durch die hellbraune Lackierung wurde ihr Wagen häufig für ein Militärfahrzeug gehalten und da diese standardmäßig Vorfahrt hatten, kam sie mühelos auch durch die größten Staus.
Gewohnheitsmäßig kontrollierte sie die parkenden Fahrzeuge vor dem Haus und achtete auf umherlungernde Gestalten, konnte aber keinerlei Bedrohung erkennen. Seit ihrer Rückkehr vor einer Woche hatte sie ein schlechtes Gefühl, aber nicht ein einziges Mal etwas entdeckt, das ihren Argwohn rechtfertigen würde. Seufzend gab sie ihren Beobachtungsposten am Fenster auf.
Wem machte sie eigentlich etwas vor? Sie war ein Nervenbündel, weil ihre Gedanken nahezu ständig um Luc kreisten. Lebte er überhaupt noch? War ihm die Flucht gelungen? Wie ging es ihm? Wo mochte er sein?
Sie schnaubte ungeduldig über ihre Grübeleien. Mit einem einfachen Anruf bei Hamid oder Kalil oder einer Mail an einen der Brüder hätte sie einige Fragen klären können, aber bis jetzt hatte sie sich nicht getraut. Aus Angst, dann vielleicht zu erfahren, dass Luc es nicht geschafft hatte. Bisher hatte sie es immer für eine schwachsinnige Theorie gehalten, dass verliebte Frauen sich absurd verhielten, jetzt war sie selbst das beste Beispiel dafür. Sie konnte nicht einmal duschen, ohne das Bild vor Augen zu haben, wie sie beide sich …
Verdammt. Das musste aufhören, ehe sie noch völlig den Verstand verlor. Scharrende Geräusche vor der Tür ihres Appartements ließen sie zu ihrer Pistole greifen. Lautlos schlich sie zur Tür und blickte behutsam durch den Spion. Der Anblick, der sich ihr bot, brachte sie dazu, sich auf die Lippen zu beißen. Ihr Nachbar, ein französischer Geschäftsmann, war mit seiner neuesten Freundin beschäftigt. Statt zu warten, bis sie in seiner Wohnung waren, hatte er die junge Frau an die Wand gedrängt und seine Hand wanderte unter den Rock, dessen Länge gegen sämtliche Sittlichkeitsgebote der Islamisten verstieß. Ihr schien das nichts auszumachen. Ihre Lippen klebten förmlich an seinen und sie rieb sich so leidenschaftlich an ihm, dass die Bodendielen unter ihnen bedrohlich knarrten.
Jasmins Mund wurde trocken, als ihr bewusst wurde, dass es keinen Grund gab, das Paar weiter zu beobachten, dennoch konnte sie sich nicht abwenden. Der Franzose versuchte sich soweit von seiner Freundin zu lösen, dass er die Haustür aufbekam,
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