Luc - Fesseln der Vergangenheit
genutzt, um sich Informationen über mich zu besorgen. Soweit alles korrekt?«
»Hundertprozentig. Was trinken Sie? Wollen Sie das Risiko eingehen und mir die Bestellung überlassen?«
»Wasser reicht und gerne: Ich mag unbekanntes Terrain.«
»Ich verspreche Ihnen, Sie werden es nicht bereuen.« Harper wartete, bis sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten und die Getränke nach einer minimalen Wartezeit vor ihnen standen. »Ich bin bereit, in Vorleistung zu treten. Aber eine Frage muss ich vorher von Ihnen beantwortet haben: Haben Sie da drüben Jasmin getroffen? Ist sie am Leben?«
»Ja.«
Neben ihm stieß Thompson einen Laut aus, der Luc herumfahren ließ. Der Grauhaarige war kreidebleich und hielt eine Hand vor die Augen. Erstmals hatte etwas die steife, kalte Haltung des Mannes durchbrochen. Nachdem er sein Glas in einem Zug geleert hatte, normalisierte sich seine Gesichtsfarbe wieder. »Du hattest recht, Jonathan. Ich hätte nie an deinem Optimismus zweifeln dürfen.«
»Ach was, ich weiß nicht, wie oft ich selbst daran gezweifelt habe. Aber jetzt sind wir wieder im Spiel und haben einen neuen Spieler auf unserer Seite. Trotzdem müssen wir sorgfältig abwägen, was wir unseren Frauen sagen.«
Für den Moment hatten die älteren Männer Lucs Anwesenheit komplett vergessen, aber ihm entging nicht, mit wie viel Erleichterung und offensichtlicher Zuneigung sie auf die Nachricht über Jasmin reagiert hatten.
Ein Lächeln verwandelte Thompsons Gesicht völlig. »Sie müssen uns für zwei alte sentimentale Männer halten, Commander. Aber wir hatten die letzten Jahre nur noch die verschwindend geringe Hoffnung, dass unsere Kleine noch am Leben sein könnte. Jonathan, willst du?«
»Nein, übernimm du das.«
Bereitwillig begann Thompson. »Jasmin ist Jonathans leibliche Nichte, ihr Vater war sein Bruder, aber wir betrachten uns beide als ihre Onkel. Sie hat jedes Jahr ihre Sommerferien bei uns und unseren Frauen verbracht und war während dieser Zeit der reinste Wildfang. Bei ihren Eltern musste sie Konventionen einhalten, bei uns hat sie reiten und schießen gelernt.«
»Und Auto fahren, weit vor dem Zeitpunkt, an dem junge Menschen das offiziell dürfen«, warf der Senator ein.
Beide Männer schmunzelten und Luc schloss sich ihnen an. Durch die Schilderung und seine eigene Erfahrung hatte er eine ungefähre Vorstellung, wie es mit Jasmin als Teenager gewesen sein musste.
Nachdem er ein weiteres Glas Wasser geleert hatte, fuhr Thompson fort: »Nicht, dass Sie den falschen Eindruck bekommen: Sie hat ihre Eltern geliebt, aber mit ihnen hat sie ein anderes Leben geführt. Sie hat dann auch drüben bei uns an der Ostküste studiert und wir haben sie noch öfter gesehen. Das Foto, das ich Ihnen vorhin gezeigt habe, wurde von ihrem Vater bei ihrer Abschlussfeier aufgenommen.«
Der Senator machte Anstalten, seinen Freund zu unterbrechen, als dessen Stimme schwankte, aber Thompson winkte ab. »Lass es gut sein, Jonathan. Ich bringe das jetzt zu Ende. Sie wollte als Kinderärztin in Annapolis anfangen, als sich über Nacht alles änderte. Sie haben vermutlich schon herausgefunden, dass ihre Eltern bei den Anschlägen aufs World Trade Center umgekommen sind. Was Sie nicht wissen können, ist, dass wir damals nicht für sie da gewesen sind. Wir waren Tag und Nacht mit unseren eigenen Aufgaben beschäftigt und haben erst nach zwei Wochen erfahren, dass Bess und Peter in den Türmen umgekommen sind. Das ist bezeichnend für das Chaos, das damals herrschte, aber ich will mein Versäumnis damit nicht entschuldigen.«
Die Art und Weise, wie Thompson zu seinem Fehler stand, nötigte Luc Respekt ab. Er konnte sich ungefähr vorstellen, unter welchem Druck die Männer gestanden hatten. Dennoch unternahm Thompson keinen Versuch, sich zu rechtfertigen, sondern stand gegenüber Luc und auch sich selbst zu seinem Fehler.
»Als wir endlich Kontakt mit ihr aufnahmen, war es schon zu spät, Jasmin hatte sich bei der CIA verpflichtet und war durch nichts von ihrem Vorhaben abzubringen. Die haben ihren Wunsch nach Rache und ihren Idealismus ausgenutzt. Durch ihre Sprachkenntnisse wurde sie sehr schnell nach Afghanistan versetzt und dann verliert sich ihre Spur. Kennen Sie den Bericht?«
»Nein, nur den Einsatzbefehl und den Ausgang: Sie gilt als verschollen, ihr Partner wurde erschossen aufgefunden und es wird angedeutet, dass eventuell sie ihn getötet hat.«
»Sie bekommen den Bericht und einiges mehr, wenn wir hier fertig
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