Luca's Rezepte
heimlich ab, so war es hier das genaue Gegenteil. Pius brachte regelmäßig Typen mit nach Hause, die er meist am Abend zuvor im L'amo kennen gelernt hatte. Das hielt wach, denn Pius kopulierte mit Vorliebe bei offener Tür.
Es dauerte nicht lange, und ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, auf was und wen Pius flog. Kräftig mussten sie sein, gern mittel- oder nordeuropäisch, möglichst muskulös und irgendwie - gelebt. Die meisten blieben selten länger als eine Nacht, zogen in der Regel aber mit einem Lächeln von dannen.
Mein Problem bestand darin, dass ich das alles gar nicht so genau wissen wollte.
Überhaupt wurde das Thema Sex für meinen Geschmack zu oft oder zumindest zu detailliert auf den Esstisch gepackt, und es machte mich verrückt, dass Shiro immer wieder darauf ansprang. Also hörte ich den Beiden meist nur zu und hielt mich bedeckt.
Auf der anderen Seite machte diese Offenheit aber auch Sinn. Das musste ich zugeben.
In unserem Badezimmer stand zum Beispiel ein großes Glas mit Kondomen und diversen Gleitmitteln, an denen sich jeder bedienen konnte.
Aids, HIV - darüber hatte ich mir bis dahin einfach keine Gedanken gemacht.
Das änderte sich nun. Und ich war geplättet, mit welcher Naivität ich bislang an das Thema herangegangen war.
Im alltäglichen Zusammenleben lernte ich es, mich zurückzuziehen. Aber ich musste aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr ausgrenzte. Also hatte ich es mir zur Angewohnheit gemacht, für uns zu kochen, wenn ich nicht arbeiten musste und wenn Shiro und Pius auf die Idee kamen fernzusehen, gesellte ich mich in der Regel dazu.
Doch meist fühlte ich mich außen vor. Ich besaß weder den Humor noch den Charme, mein Umfeld für mich zu begeistern, wie es Shiro oder Pius hinbekamen. Das lief bei mir über andere Kanäle, über essbare zumeist.
Ich beneidete meinen Japaner für seine federleichte Art. Zum Beispiel um die, mit der er auf Menschen zugehen konnte. Während sich bei mir sofort mein Verstand - und damit vor allem meine Alarmglocken - einschalteten, begann er völlig unvoreingenommen ein Gespräch. Oder er lächelte einfach nur jemandem zu.
Ja, mit einem Lächeln, mit ein paar Worten nur, konnte er sein Umfeld zu bezaubern.
Dies waren Dinge, die ich so nicht von ihm wusste. In Fano waren wir immer nur auf uns gestellt gewesen. All seine Aufmerksamkeit hatte er ausschließlich mir gewidmet. Das war nun anders, und auch das bereitete mir Probleme.
Es war halt so eine Sache mit dem Einleben.
Eine Aufgabe, wenn man so wollte...
» Ich brauche deine Hilfe, Luca...«
Der Anruf von Luisa Marone kam an einem bewölkten Dienstag, ungefähr acht Wochen nach unserem Umzug, und er sollte die wohl einschneidendste Veränderung im meinem bisherigen Dasein als Koch für mich bedeuten.
»... Hast du einen Moment?«
Klar hatte ich den. Für Luisa sowieso. Nach wie vor bildete die Arbeit bei ihr meine einzige Einnahmequelle, und ich mochte sie einfach, sah sie gerne und hatte mittlerweile so etwas wie ein vertrautes Gefühl ihr gegenüber. Von einem großen Freundeskreis meinerseits konnte ja auch keine Rede sein.
»...Es geht um ein privates Diner bei meiner Freundin Maria. Ich bin komplett ausgebucht, aber ich kann ihr das nicht abschlagen. Darum habe ich dich vorgeschlagen, und sie ist einverstanden...«
Ich hatte von solchen Diners schon gehört. Köche, die in privaten Häusern für kleine Gesellschaften kochen und manchmal auch servieren. Ich fand diese Vorstellung schon immer merkwürdig.
»...Alles, was du an Equipment benötigst, bringe ich dir dort hin. Es ist auch nichts Kompliziertes. Acht Personen, mehr nicht. Machst du das für mich? Oh, bitte sag ja...«
Was blieb mir übrig? Also sagte ich zu und ließ mir alles genau von ihr erklären.
Kompliziert war es wirklich nicht, es war mir nur unangenehm. Eine fremde Küche, fremde Menschen. Show-Kochen quasi.
»Muss ich auch servieren?«
» Dafür hat sie jemanden gebucht. Keine Sorge... morgen Abend, 20 Uhr, Amuse Gueules. Du brauchst etwa zwei Stunden Vorlauf. Corso Carbonara Nummer 4, bei Maria Casteleir di Semogo. Alles, was du brauchst, wird vor Ort sein. Luca, du bist ein Schatz!«
»Bin ich!«
» Bist du wirklich...«
Sie ahnte nicht, wie sehr. Denn Kochen dieser Art widerstrebte mir völlig. Es hatte etwas so, ja - dekadentes. Die piekfeinen Leute buchen sich mal eben so einen Koch, so zur Belustigung der Gäste. Es wertete auf eine ganz bestimmte Weise die
Weitere Kostenlose Bücher